Fairplay 138 – À la carte: SCOUT

Kei Kajino (梶野 桂): SCOUT für 2 – 5 Personen mit Illustration von Rie Komatsuzaki, Jun Sasaki, sinc (小川) bei Oink Games 2021, Spieldauer 15 Minuten

Ich glaube, dass im Genre der Kartenspiele eine kleine Perle das Licht der Welt erblickt, die sich zu Großem entwickeln könnte: Ein ungewöhnliches Stichspiel aus einem Nischenverlag mit viel Potential. Ich hoffe auf Erfolg. SCOUT ist dieses ungewöhnliche Spiel. Obwohl es bekannte Grundideen aufgreift, ist es doch mit neuen Mechanismen komponiert. Die Karten haben die Werte von 1 bis 10 und müssen zu Straßen oder Mehrlingen kombiniert auf den Tisch gelegt werden. Je länger und wertiger so eine Reihe, umso besser. Eigentlich ist das POKERN. Eine weitere Idee ist, dass die Kartenhand nicht sortiert gesteckt werden darf, sondern „wie es kommt“ aufgefächert wird, und dann dürfen nur benachbarte Karten bzw. eine Einzelkarte ausgelegt werden. BOHNANZA und KRASS KARIERT sind hier Vorbilder. Dazu kommt jetzt aber manche Feinheit.

Jede Karte hat immer zwei Werte, alle Kombinationen von 1-2 bis 9-10 sind vorhanden. Der eine Wert steht oben, der andere unten auf der Karte. Nach dem Auffächern des Kartenblattes entscheidet jeder Spieler, wie herum sein Kartenblatt gehalten werden soll. Das ist sein aktives Blatt. Ein Startspieler muss nun eine oder mehrere gültige Karten ausspielen. Das ist im Sinne des Themas seine Show, doch dazu später mehr. Alle Folgespieler haben nun zwei Optionen. Entweder überbieten sie die ausliegende Show durch bessere Kartenkolonnen.

Besser sind immer längere oder höherwertige Kartenreihen. In so einem Fall gewinnt der Spieler die auf dem Tisch liegende Auslage und legt die Karten verdeckt vor sich ab. Am Ende zählt jede dieser gewonnen Karten einen Punkt. Jetzt ist seine Auslage der aktuell gültige Show-Act.
Die zweite Möglichkeit ist das Plündern. Der Spieler darf aus Auslage eine Randkarte nehmen und sie bei sich in die Kartenhand an beliebiger Stelle einstecken. Dabei darf diese Karte gewendet werden, so dass der Bottom-Wert oben ist. So ist eine Verbesserung der eigenen Kartenhand möglich. Der Geplünderte bekommt einen Chip aus dem allgemeinen Vorrat, auch diese zählen am Ende einen Pluspunkt.
So werden Auslagen verkleinert und können von Folgespielern leichter übertrumpft werden. Das ist auch bitter nötig, denn wenn eine Auslage eine komplette Runde übersteht, der Spieler also wieder am Zug ist und noch Karten vor sich liegen hat, endet ein Durchgang. Es wird abgerechnet. Alle Handkarten zählen bei den Mitspielern Minuspunkte, was sehr empfindlich sein kann.

Die Crux

Die Crux des Spielablaufs liegt darin, den rechten Zeitpunkt abzupassen, das Sammeln und Zusammenstellen neuer Kartenkombos umzuwandeln in das Ausspielen wertiger Tischauslagen. Jede neue Handkarte könnte ein potenzieller Minuspunkt sein, jede ausgelegte Kartenreihe bringt die Mitspieler unter Druck.

Weil es manchmal recht schnell mit einem Durchgang zu Ende sein kann, gibt es für jeden Spieler einmal eine Sonderaktion. Da darf gleichzeitig eine Karte aus der Tischauslage genommen und dann diese durch Auslegen eigener Karten übertrumpft werden. Das gelingt auch deshalb zumeist, weil ein doppelter Effekt eintritt: Die aktuelle Auslage wird durch das Wegnehmen einer Karte verkleinert und die genommene Karte wird die Handkarten durch richtiges Hineinstecken optimieren. So wird dieser Doppelzug sinnvoll gestaltet. Diese Option sollte immer genutzt werden, wenn der Spiele der letzte einer Runde vor dem Spieler mit der aktuellen Auslage ist. Wird nicht so gehandelt, ist der Durchgang vorbei und sicherlich mit Punktverlust für alle anderen verbunden.

Es gibt eine zweite Möglichkeit einen Durchgang zu beenden. Wem es gelingt, seine Kartenhand komplett leer zu spielen, beendet den Durchgang sofort. Das passiert nicht so häufig, wenn das aber gelingt, ist es ein Coup sondergleichen. Der Spieler wird das gut und geschickt vorbereitet haben und legt plötzlich zur Überraschung aller vier, fünf oder gar sechs Karten auf einmal ab. Er hat mit Glück und Geschick seine Kartenhand optimiert. Dann rasselt es ordentlich Minuspunkte für die anderen. So lassen sich Rückstände aus den Durchgängen zuvor wieder aufholen. Allerdings können auch Führungen enorm vergrößert werden. Das Spiel endet, wenn jeder einmal Startspieler war. Manchmal kommt es vor, dass im letzten Durchgang der Punktabstand riesengroß ist. Dann kann der Führende kaum oder gar nicht mehr eingeholt werden. Da jeder Durchgang aber nicht lange dauert, spielt die Runde trotzdem weiter und sammelt Ergebnisse für die Ewigkeit. Sicherlich wird anschließend gerne ein neues Komplettspiel begonnen. SCOUT will ausgetestet werden und mit jeder Erfahrung verbessert sich das Spielverhalten.

Und Show!

Thematisch ist dieses Kartenlegen in der Zirkuswelt verankert. Die ausgelegten Kartenreihen sind Show-Acts von Clowns oder Jongleuren. Die Karte mit dem Zylinder des Direktors bestimmt den Startspieler. Die Aktionen heißen „Show“, das ist das Auslegen, bzw. „Scout“, das ist das Nehmen von Karten aus der ausliegenden Zirkusnummer, quasi das Anwerben neuer Artisten. Enttäuscht hat mich zuerst die Illustration. Alle Karten sind eigentlich nur zweifarbig mit einer geschlängelten Diagonale zur Abgrenzung der beiden Kartenwerte. Die Artisten werden lediglich durch millimetergroße schwarze Icons unterhalb der Zahlenwerte abgebildet. Zweifelsohne hat jeder Kartenwert die größere Spielrelevanz, aber das Auge will mitspielen. Das gelingt hier nicht. Mir hat das gezeigt, dass viele der modern bebilderten Kartenspiele eigentlich auch auf die Illustrationen verzichten könnten. Die spielrelevanten Informationen treten bisweilen in den Hintergrund. Das ist hier nicht so. Das ist letztendlich ein Stück ehrlicher. Zum Glück trägt jede Karte einen Künstlernamen. Dadurch kommt Leben in den Spielablauf, wenn jeder wie bei einer Ankündigung im Zirkus seinen Show-Act laut und „gestreckt“ kommentiert: „Das in der Manege agierende Einrad-Trio Paul, Charles und Thomas wird von mir in die Kulisse geschickt, denn ich präsentiere William mit den Stelzen, Henry auf dem Trampolin, Donna am Trapez und die fabelhafte, mutige, sensationelle Rebecca als lebende Kanonenkugel.“ Und schon lebt das Spiel unterm Zirkuszelt. So herausragend wie diese Künstlergruppe erachte ich dieses Spielerlebnis. Ich empfehle jedem Freund von Kartenspielen, hier tiefer einzutauchen. Wegen der Show-Aktion funktioniert das Spiel allerdings richtig gut erst ab vier Personen.

Ein sehr kleiner Wermutstropfen soll nicht unerwähnt bleiben. Die Kartenqualität „Made in China“, ist auf den ersten Blick ganz ordentlich, allerdings bleiben Fingerabdrücke auf den Kartenoberflächen zurück.

Peter Neugebauer

Kei Kajino (梶野 桂): SCOUT für 2 – 5 Personen mit Illustration von Rie Komatsuzaki, Jun Sasaki, sinc (小川) bei Oink Games 2021, Spieldauer 15 Minuten