Fairplay 134 – Rezension: Der perfekte Moment

Die Sehnsucht ist groß, ihn einzufangen, den perfekten Moment in pandemieverseuchten Zeiten und bei unstetem Weltgeschehen. Jeder sehnt sich nach etwas Ruhe in seinem Alltag. Und wenn alles stimmig ist, dann ist dies der perfekte Moment ein hehres, nur selten erreichtes Ziel.

In dem gleichnamigen Spiel, DER PERFEKTE MOMENT, schlüpfen die Spieler in die Rolle von Fotografen. Sie arrangieren auf einer Feier die Gäste so für das Erinnerungsfoto, dass es unvergessen bleibt. Dabei gilt es, möglichst alle Vorlieben der Teilnehmer zu beachten. Jeder hat drei Wünsche und will diese natürlich berücksichtigt wissen. Da will die Lady in Red wegen ihrer Haustierallergie nicht neben den Hund stellen. Sie ist auch sonst sehr selbstbewusst, deshalb möchte sie von niemandem auf dem Foto verdeckt und auch neben keinem Mann abgelichtet werden. So haben alle ihre Eigenarten. Es wird schwer sein, den perfekten Moment im Foto einzufangen, aber einem Spieler wird es am besten gelingen.

Jeder bekommt ein Stellbrett mit 14 Quadraten für die Figuren, die ebenfalls jeder erhält. Eine Kulisse dient zunächst als Sichtschutz vor den Mitspielern und ein großer Tisch kommt als Staffage in die Mitte, um den sich alle herumgruppieren. In kleinen Umschlägen, die den Figuren der Gesellschaft zugeordnet sind, werden die drei Vorlieben zufällig und blind eingesteckt. Damit ist die zu lösende Aufgabe für das perfekte Foto stets neu. Die Couverts werden verteilt, ein paar kommen in die Tischmitte und schon beginnt die erste Analyse. Jeder darf seine Umschläge lüften und aufgrund der erhaltenen Informationen in der eigenen Kulisse erste Figuren platzieren. Danach folgen sechs Runden, in denen Umschläge weitergereicht, getauscht, bisweilen auch neu verteilt werden. Der Informationsfluss wird größer und in jeder Runde dürfen die Figuren umgesetzt oder neu hinzugefügt werden. Dabei sollte aber niemals eine Figur beliebig in die Szenerie gestellt werden, denn wenn ihr Platz später keinem Wunsch entspricht, was beim zufälligen Aufstellen wahrscheinlich ist, gibt es satte Minuspunkte. Ansonsten gilt natürlich, dass man je mehr Punkte erspielt, je mehr Wünsche pro Figur erfüllt werden. Noch hinzu kommt, dass alle einem Lieblingsgast haben und eine Lieblingskarte in dessen Umschlag einstecken darf. Dessen Punktzahl verdoppelt sich für alle bei der Auswertung, auch im Negativen, wenn dessen Platzierungswünsche nicht berücksichtigt werden. Mit solchem Fauxpas bei der Suche nach dem perfekten Moment wird niemand gewinnen.

Das Spiel lebt von der Tüftelaufgabe. Wo stelle ich wen optimal hin? Innerhalb der sechs Informationsrunden wird mancher Gast seinen Platz ändern. Das sollte man auch initiieren und sich nicht an ersten Entscheidungen festklammern und um diese ersten Figuren herum arrangieren. Es kann durchaus von Vorteil sein, alle neu zu platzieren, was man darf und stets kann in die alten Umschläge hineingeschaut werden, so man sie noch vor sich liegen hat. Etwas Taktieren ist ebenfalls möglich, wenn man Informationen über eine Person, den Hund oder die Topfpflanze partout nicht weiterreicht und sie so den Konkurrenten vorenthält. Manchmal muss man die Umschläge zufällig aus der Hand geben, aber manchmal kann man sie auch bewusst zurückhalten.

Am Ende wird noch ein Handy-Foto der Gäste vor der Kulisse gemacht. Das dient nicht dem Selbstzweck, sondern hat bei manchen Auswertungen Relevanz, wenn es z.B. darum geht, dass ein Gast im Hintergrund gerne von seinen Vorderleuten verdeckt sein möchte. Mit dem Smartphon ist der Beweis schnell erbracht, ob der Wunsch erfüllt wurde. Die Auswertung funktioniert auch sonst sehr elegant. Die Fotokulisse, also der Sichtschirm wird zusammengeklappt abgelegt, denn auf dessen Rückseite gibt es eine Zählleiste, auf der die Punkte abgetragen werden. Jeder Umschlag wird nun einzeln geöffnet und jeder Spieler überprüft, wie viele Wünsche erfüllt wurden und wie viele Punkte jeweils gezählt werden dürfen. Nach 14 Auswertungen gibt es immer einen eindeutigen Sieger, ein Unentschieden kam bei uns noch nicht vor. Dabei ist die Auswertung noch einmal ein kleines Rennen an sich, wenn alle Gästewünsche ausgezählt werden und der Punktanzeiger bei den Spielern verschieden weit nach vorne schnellt. Es kommt zu häufigeren Führungswechseln. Zwischenergebnisse sollten kundgetan werden. Keiner weiß seine Leistung richtig einzuordnen. Das ist noch einmal eine spannende Phase.

Es hat sich übrigens bewährt, den einzelnen Gästen Namen zu geben. Neben der Lady in Red sind auch Oberst von Gatow, Sigmund Freud, Louis Armstrong u.a. mit von der Partie. Das macht die Kommunikation lebendiger, das Spiel stimmiger, den Moment perfekter.

Das Spiel funktioniert in jeglicher Besetzung gut, wenn auch in größerer Runde der Informationsfluss geringer ausfällt. Das stört nicht, denn es gilt für alle gleichermaßen. In einer Variante kommt ein Versteigerungselement hinzu. Hier werden in drei der sechs Infophasen neue Gäste nicht einfach getauscht und zugelost, sondern ersteigert. Als Währung dienen Dekorationen wie Soßenschüsseln oder Weinflaschen, die auf dem Tisch stehen. So kann man versuchen, gezielter an bestimmte Gäste mit ihren Wünschen heranzukommen. Die Anzahl der übriggebliebenen Dekorationen wird in dieser Variante am Ende bepunktet. Dieser Zugriff verleiht dem Spiel mehr Einfluss, man sollte allerdings für Versteigerungselemente in Spielen offen sein. Wer überreizt und zu viel bezahlt, wird hier kaum Gewinnchancen haben. Alle Spieler sollten mit diesen Mechanismen vertraut sein und sie auch wünschen. DER PERFEKTE MOMENT funktioniert problemfrei ohne Versteigerung.

Und dann gibt es als Ad-on noch Plexiglas-Gäste anstelle normaler Aufstellfiguren aus Pappe. Das macht die Ausstaffierung und natürlich die zu erstellenden Fotos eleganter, das Spiel dadurch aber auch teurer. Ich finde, dass sich diese Investition lohnt, auch wenn die Figürchen manchmal etwas mühsam in den Standfuß gesteckt werden müssen. Unterm Strich bleibt DER PERFEKTE MOMENT als schon ziemlich perfektes Spiel in Erinnerung, das so häufig wie kein Zweites nach der SPIEL.digital auf unserem Tisch gelandet ist. Mithin eine spielerische Empfehlung meinerseits, der ich höhere Weihen zutraue.

Peter Neugebauer

Anthony Nouveau: DER PERFEKTE MOMENT für 2 – 4 Personen mit Illustration von Ronny Libor, Gyula Pozsgay, Sören Meding, Maja Wrzosek bei Corax Games 2020, Spieldauer 50 – 90 Minuten

Dieser Text erschien in der 134. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 24 Euro im Jahr.