Fairplay 145 – Rezension: Darwin’s Journey

Spielen wie im Paradies

Simone Luciani und Nestore Mangone: DARWIN’S JOURNEY für 1 – 4 Personen ab 14 Jahren mit Illustration von Paolo Voto bei Skellig Games 2023, Spieldauer 60 – 120 Minuten, Made in China

Als die Beagle, ein ehemaliges Kriegsschiff, 1831 zu seiner zweiten großen Vermessungsexpedition aufbrach, befand sich ein bis dato unbekannter 22jähriger, unbezahlter Naturforscher unter den Besatzungsmitgliedern. Kapitän FitzRoy hatte nämlich einen Geologen als Unterstützung für seine Reise gesucht. Jener junge Mitreisende gedachte eigentlich Pfarrer zu werden, erlag aber dem Reiz der Aussicht, zuvor die Tropen erkunden zu können. Folglich ergriff er die sich bietende Gelegenheit beim Schopfe und willigte ein, als Geologe die Expedition zu unterstützen. Wer diesen jungen, anstrebenden Wissenschaftler kannte, durfte darüber wohl weniger erstaunt gewesen sein, denn seit seiner Kindheit war er geprägt von einer unersättlichen Neugierde und Faszination für die Dinge der Natur. Ob ihm bereits zu Beginn der Reise um die Welt bewusst war, dass diese ihn fünf Jahre der Heimat entreißen würde, darf bezweifelt werden. Dass diese aber der Ausgangspunkt für eine der bis heute berühmtesten wissenschaftlichen Schriften sein und ihn selbst schließlich zu einen der bedeutendsten Naturwissenschaftler der Geschichte küren würde, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen. Als Charles Darwin schließlich im Oktober 1836 die Heimat wieder erreichte, war er um viele Erfahrungen, fast 2500 Seiten wissenschaftliche Aufzeichnungen und unzählige wertvolle Fundstücke reicher. Doch bis zur Veröffentlichung seines Buches „Über die Entstehung der Arten“ sollten noch über zwanzig Jahre vergehen.


Wir begeben uns auf die Spuren des berühmten Naturforschers und erleben seine Reise um die Welt spielend und ganz gefahrlos am Wohnzimmertisch. DARWIN‘S JOURNEY ist ein klassisches Arbeitereinsetzspiel. Daher dürften die Spielregeln wenig überraschend sein: Arbeiter einsetzen und Aktion ausführen, im Anschluss an diese Aktionsphase die neue Spielerreihenfolge ermitteln, jeder streicht noch seine Belohnungen ein, es wird aufgeräumt und die neue Runde vorbereitet. Von denen werden, entsprechend der Dauer der historischen Reise, fünf gespielt. Schon im Verlaufe eines dieser Jahre gibt es allerlei Siegpunkte, am Ende fällt die Endabrechnung daher erfreulich einfach aus. Die Hürde, die jedoch einen schnellen Einstieg verhindert, sind die vielen verschiedenen Aktionen, die erlernt und verstanden werden müssen und insbesondere die damit verbundene überbordende Symbolvielfalt. Selbst für erfahrene Spieler stellt diese eine echte Herausforderung dar. Ein Nachschlagen in der Regel gestaltet sich als schwierig, eine einfache Übersicht fehlt.

Zu den zahlreichen Aktionsmöglichkeiten zählen das Reisen mit dem eigenen Expeditionsschiff, das zum einen für das Erreichen der Rundenwertungsfelder relevant ist, vor allem aber dazu dient die Inseln zu erreichen und eigene Forscher anlanden zu lassen. Das Erkunden der Inseln ist entsprechend eine weitere mögliche Aktion. Hier locken etliche wertvolle Funde, also Exemplare von Fossilien, Vögeln und Pflanzen, daneben aber auch Schätze. Zudem können hier Camps errichtet werden, die für weitere Boni sorgen. Auf den Inseln gefundene Exemplare können an das Museum geschickt werden, das bringt Geld und fördert das Wissen um die Evolution. Das Museum kann im Übrigen auch besucht werden, um hier Exemplare zu erforschen, welche bereits ausgestellt sind. Die Erfahrungen der Reise werden von Zeit zu Zeit mitgeteilt, indem man Briefe in die ferne Heimat schickt. Diese Korrespondenz sorgt für Belohnungen, die am Rundenende eingestrichen werden können. Noch weitere Aktionen, wie das Setzen von Zielen, sowie allerlei Sonderaktionen runden das üppige Portfolio der zahlreichen Optionen ab.


Etliche Spielelemente, die uns mit DARWIN’S JOURNEY aufgetischt werden, sind vertraut. Zum einen natürlich all das, was das Einsetzen von Arbeitern so mit sich bringt. In einem kleinen Rennspiel gegeneinander und mit der Beagle dürfen wir uns obendrein messen. Betrachtet man die Spielertableaus, fällt der Blick auf diverse verräterische Symbole. Zu Beginn sind diese verdeckt. Zum einen durch die Zelte für die Camps, welche auf den Inseln aufgeschlagen werden, zum anderen durch die Briefmarken, die für die Korrespondenz auf den Hauptspielplan wandern. Durch ihr Entfernen können kleine Belohnungen freigeschaltet werden. Gleichermaßen verhält es sich durch das Erreichen der Zwischenziele. Werden Zielplättchen auf dem Tableau umgedreht, liefern sie ebenfalls Boni und Belohnungen. Der besondere Pfiff des Spiels ergibt sich aus den etwas weniger vertrauten Beigaben. Zum einen sind das die Beschränkungen durch die Einsetzorte (in Form von Lupen und optischen Linsen, schön thematisch). Die meisten von ihnen befinden sich auf aufgeschlagenen Tagebüchern (ebenfalls schön thematisch). Sobald lediglich ein einziger Platzierungsort auf einem Tagebuch besetzt ist, muss jeder weitere Arbeiter, der auf der besetzten Lupe oder irgendeinem anderen Platzierungsort desselben Tagebuchs eingesetzt wird, eine Strafe bezahlen. Das ist schmerzhaft, denn Geld kann sehr knapp werden. Diese Regel hat zur Folge, dass man unweigerlich ein großes Interesse für das Wirken der Mitspieler aufbringt. Es ist enorm wichtig abzuschätzen, mit welchem Timing man seine Aktionen vollziehen sollte. Doch damit der Zwänge noch nicht genug: Auch der Ausbildung der eigenen Mannschaft kommt eine wichtige Bedeutung zu. Denn in diesem Spiel trachtet jeder nach größtmöglicher Effizienz. Mit anderen Worten: Jede Aktion steht in unterschiedlicher Stärke zur Verfügung. Beispielsweise das Erkunden. Der Forscher kann zwei, drei oder sogar vier Schritte vorankommen. Ein erheblicher Unterschied. Was steckt dahinter? Die eigenen Holzmeeple repräsentieren Besatzungsmitglieder. Jedes von ihnen hat eine entsprechende Besatzungskarte, auf der sein spezifischer Ausbildungsgrad zu finden ist. Dieser stellt sich in Form von Wachssiegeln dar, Bildungszertifikate gewissermaßen, die es in vier verschiedenen Farben gibt. Eines dieser Siegel bringt jeder zu Beginn bereits mit, weitere müssen in der Akademie erlangt werden. Das ist natürlich ebenfalls eine eigene Aktion. Je mehr dieser Siegel ein Arbeiter erlangt, desto stärkere Aktionen kann er ausführen. Wobei jede ihre eigenen Anforderungen stellt, das Navigieren beispielsweise blau, die Akademie rot und so weiter. Hat man erst einmal eine gut ausgebildete Besatzung, so ist eine weitsichtige Planung gefragt. Nicht selten steht man vor der Situation eine gewünschte Aktion nicht durchführen zu können, weil der Bildungsgrad der verbliebenen Arbeiter nicht genügt oder einfach unpassend ist. Nebenbei: Je ausgebildeter ein Arbeiter bereits ist, desto teurer wird es ihm, weitere Wachssiegel zu spendieren. Und wie bereits erwähnt, Geld kann extrem knapp sein. Wie knapp, ist nicht pauschal zu sagen. Sonderaktionen und Belohnungen für Korrespondenz sind nicht statisch, sondern zufällig gezogen jedes Spiel unterschiedlich. Das kann sich auf das Geschehen spürbar auswirken. Nicht nur aus monetärer Sicht. Dadurch dass Sonderaktionen je nach Spiel unterschiedlich zur Verfügung stehen, verlangen diese nach einer – zumindest in Nuancen – angepassten Strategie.


Letztlich endet das Spiel nach fünf Jahren mit einer Wertung. Bereits während der langen Reise liegen etliche Punkte auf der Route und warten darauf eingesammelt zu werden, nun aber kommen noch etliche hinzu. Für Zwischenziele, deren Forderung während des Spiels erfüllt werden können. beispielsweise das eine oder andere erreicht oder gesammelt zu haben. Bis zu zehn dieser Ziele können durchaus erheblich zu Buche schlagen. Reichlich Punkte warten potentiell auch auf diejenigen, denen es gelungen ist auf der Evolutionsleiste weit voranzukommen. In Abhängigkeit zur Anzahl der ins Museum gebrachten Exponate, könnten theoretisch bis zu 96 Punkte rüberkommen. Die in der Spielregel beispielhaften 36 sind jedenfalls mehr als realistisch. Aufgrund seiner Varianz und der vielen Möglichkeiten bietet das Spiel unterschiedliche Wege zum Ziel. Doch das Wesentliche sind wie in der realen Vorlage das Reisen, das Erkunden und das Versenden der entdeckten Exponate ans Museum. Diese verlangen nach besonderer Aufmerksamkeit. Auch wenn viele andere Aktivitäten solide Punktelieferanten sein können, ohne die Darwin‘schen Kernkompetenzen dürfte ein möglicher Gewinn eher in die Ferne rücken.


DARWIN’S JOURNEY ist einmal mehr ein Euro mit seiner ganz eigenen Note. Kennt man das italienische Autorenduo ist das wenig überraschend. Sie haben ein enorm komplexes Spiel geschaffen, das an allen Ecken und Kanten liebevoll das Thema einfängt. Briefmarken für die Korrespondenz, Wachssiegel, all die verschiedenen Exemplare, Museum und Evolutionsleiste und zu guter Letzt die vielen Notizbücher. Natürlich ist das keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal, dennoch offensichtlich äußerst gelungen. Das Thema ist darüber hinaus spielerisch ausgesprochen gelungen eingebettet. Anders als bei vielen vergleichbaren Eurospielen, wirkt es nicht übergestülpt und austauschbar.


Mir fehlt zumindest die Phantasie, mir ein anderes Thema für dieses Spiel vorzustellen. DARWIN’S JOURNEY ist für mich ein echtes Highlight des Jahrgangs. Das Autorenduo hat damit ihr eigenes, gutes Newton in einen großen Schatten gestellt.

Matthias Busse

Dieser Text erschien in der 145. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin.