Fairplay 144 – Rätsel: Die geheimnisvolle Insel

Ein fester und sehr kniffliger Bestandteil jeder Fairplay-Ausgabe ist das Preisrätsel. Seit 1992 (Fairplay Nr. 20) bringt Franz-Josef Schulte die Gehirne der Knobelfans zum Glühen. Die letztjährige Ausgabe Nr. 144 enthält mit einer besonder schönen Einbettung das 125. Preisrätsel. Viel Spaß beim Rätseln!

Kürzlich wurde im Archiv des Museums von Funchal ein altes Dokument entdeckt, das für große Aufregung gesorgt hat. Es handelt sich ganz offensichtlich um den Brief eines berühmten Vaters an seinen Sohn. Der Brief ist zwar undatiert, das Pergament jedoch ohne jeden Zweifel mindestens 500 Jahre alt. Seine Echtheit muss aber noch genauer wissenschaftlich überprüft werden. Die folgende Übersetzung aus dem Portugiesischen wurde zum besseren Verständnis leicht modernisiert, und auch die dem Brief beigelegten Zeichnungen wurden überarbeitet. (Die modernen Rechenzeichen etwa wurden erst viel später eingeführt.)

Mein lieber Diego!


Ich war Dir kein guter Vater. Seit den Tagen Deiner Geburt war ich wie besessen von der großen Seereise, die ich vor einem Monat nach all diesen Jahren endlich antreten durfte. Meine Pflichten als Vater habe ich darüber schmählich vernachlässigt, und diese Erkenntnis lastet schwer auf meinem Gewissen.

Lediglich bis zu den kanarischen Inseln sind wir gelangt, die Weiterreise verzögerte sich um Wochen voller Ungeduld. Das Steuerruder der Pinta war gebrochen und musste erneuert werden. Überdies benötigte die Niña ein neues Segel. Es ist das wohl kein guter Stern, unter dem unser Unternehmen steht. Meine Seeleute klagen ob der unheilvollen Vorzeichen und betrachten gar den rauchenden Vulkan auf der Nachbarinsel als böses Omen. Dessen ungeachtet werden wir am morgigen Tag die Reise fortsetzen. Doch nun, da mein langer Traum tatsächlich wahr zu werden scheint, plagen auch mich Zweifel. Es wird eine Fahrt ins Ungewisse, deren Ausgang allein in Gottes Hand liegt.

Und so greife ich zur Feder, um Dir ein Vermächtnis anzuvertrauen. Noch bist Du jung, doch in wenigen Jahren wirst Du zum Manne gereift sein, um dann vielleicht ein Versprechen zu erfüllen, das ich einst Deinem Kindermädchen gab. Dass Asla gemeinsam mit ihrem Bruder Hilmar als Schiffbrüchige nach Porto Santo gelangte, ist Dir wohl bekannt. Die beiden jungen Menschen wurden in erbärmlichem Zustande gefunden, dem Tode nah in einem Boot liegend, das vor der Küste trieb. Dies trug sich just am Tag Deiner Geburt zu, und man brachte die beiden zum Haus des Gouverneurs, Deines Onkels Bartolomeu Perestrelo.

Wahrlich, nie kannte ich einen klügeren Menschen als jene Asla. Binnen weniger Wochen hatte sie unsere Sprache in Wort und Schrift erlernt – sehr viel besser auch als ihr Bruder. Sie bat mich gar, sie die Geheimnisse der Mathematik und die indischen Zahlzeichen zu lehren. Das bereitete uns beiden große Freude, und doch lachte sie nur selten. Sie verzehrte sich vor Sehnsucht nach ihrer Heimat. Es muss ein gewaltiger Sturm gewesen sein, der ihr kleines Fischerboot viele Meilen weit hinaus aufs Meer schleuderte. Ja, mein Sohn, das war sie in der Tat: eine Fischerin. Und ihre Heimat ist eine Insel hoch im Norden. Diese Insel aber umgibt ein großes Geheimnis, denn sie ist auf keiner Karte verzeichnet.

Das Medaillon

Um den Hals trugen beide Geschwister ein großes Medaillon aus Bronze. Du hast es selbst oft gesehen, aber hat Dir Asla jemals seine Bedeutung erklärt? Es zeigt angeblich den Umriss ihrer Heimatinsel und gilt dort als ein heiliges Symbol, aufgeteilt in regelmäßige Hexagone, die neunzehn sonderbare Zeichen enthalten. Ich erfuhr, dass diese Zeichen für die Zahlen von 1 bis 19 stehen, und sie waren derart wundersam verteilt, dass die drei, vier oder fünf Zahlen in jeder geraden Reihe eine immer gleiche Summe ergaben. Jedes Kind, das ins Erwachsenenalter eintritt, erhält ein solches Medaillon. Es soll zeigen, wie eine Gruppe ganz verschiedener Einzelwesen eine vollkommene Gemeinschaft bilden kann, wenn nur jedes seinen rechten Platz einnimmt. Weder Asla noch ihr Bruder gab jemals das Medaillon aus der Hand, doch habe ich es oft genug gesehen, um eine Zeichnung davon zu machen, die ich hier beilege. Leider weiß ich kaum noch etwas über die genaue Verteilung der neunzehn Zahlen, doch bin ich sicher, dass die beiden Zeichen oben rechts für 17 und 18 standen. Es sollte wohl möglich sein, die Verteilung der restlichen Zahlen daraus zu ergründen, doch vermag ich das nicht.

Das Geduldspiel

Asla hat Dir so viele wundervolle Spiele gezeigt. Besonders beeindruckt hat mich eine Art Geduldspiel mit neunzehn sonderbar geformten Holztäfelchen, aus denen sie gemeinsam mit Dir zahlreiche hübsche und lustige Gestalten zusammenfügte. Mit diesen Formen konnte Asla auch eine perfekte Nachbildung ihrer Heimatinsel auslegen. Ich erinnere mich nur noch an einen Teil der Lösung. Weißt du noch, wie das möglich war?

Das Würfelspiel

An wenigstens ein weiteres Spiel erinnere ich mich auch noch sehr gut. Dabei sollte man einige Spielwürfel auf einer Nachbildung der Insel verteilen. Asla legte zunächst ein paar Würfel aus. Und dann musstest Du einige weitere so dazu legen, dass schließlich alle Würfelfelder miteinander verbunden waren. Außerdem musste aber die Augenzahl eines jeden Würfels die Anzahl an Nachbarfeldern wiedergeben, die ebenso einen Würfel trugen. Und zuletzt sollte jeder Würfel eine andere Augenzahl zeigen als ein jeder seiner Nachbarn. So viel Freude hattest Du an diesem Spiel! Eine der Aufgaben von Asla war jedoch so schwierig, dass Du sie trotz aller Mühe nicht lösen konntest. Diese habe ich mir notiert. Vielleicht gelingt es Dir ja heute?

Gefaltete Gleichungen

Als Du älter wurdest blieb Asla Deine beste Lehrmeisterin. Ganz sicher erinnerst Du Dich noch an ihre gefalteten Gleichungen. Diese bedeuteten für Dich willkommene Abwechslung zu den langweiligen Aufgaben, die Dein Magister Dir zu stellen pflegte. Auch mir gefiel diese neue Art der Rechenrätsel ungemein, und so stellte Asla denn auch einige für mich zusammen, größere und schwierigere. Sie alle waren zu einer Nachbildung ihrer Insel gefaltet, sicherlich gedacht als stille Erinnerung an mein Versprechen. Ich muss jedoch zugeben, dass ich die Rätsel nicht immer lösen konnte. Eines habe ich noch in meinen alten Aufzeichnungen gefunden, und ich lege es nun ebenfalls für Dich diesem Brief bei.

Rätsel: Wo liegt die Insel?

Ach, das Schwelgen in schönen Erinnerungen tut meinem bangen Herzen wohl. Was für eine wunderbare Zeit das doch war! Jedoch galt eben dies nicht für die arme Asla. Dich hat sie es niemals spüren lassen, doch war sie sehr unglücklich, musste zudem die Bosheiten Deiner eifersüchtigen Mutter erdulden. Aslas Bruder hingegen fiel es leicht sich einzufügen. Hilmar erzählte einmal, dass in seiner Heimat Frauen jedes Gewerbe ausüben dürfen, für das sie Talent zeigen, und jedes Talent wird sorgsam gefördert. Und so gibt es dort nicht nur weibliche Fischer, sondern angeblich sogar Baumeisterinnen. Hätte ich Asla nicht kennenlernen dürfen, so würde ich das niemals geglaubt haben.

Wieder und wieder versprach ich ihr, dass ich ihre Insel wiederfinden würde. Doch war da auch eine Sehnsucht in meinem eigenen Herzen erwacht, und die galt einem ganz anderen Reiseziel. Schlussendlich gab Asla wohl alle Hoffnung auf, dass ich ihr jemals helfen würde. Mehrere Male beobachtete ich, wie sie heimlich die Seekarten und Logbücher aus dem Nachlass Deines Großvaters betrachtete, die ich auch selbst eingehend studierte. Und sie muss dabei auch auf die seltsame Seekarte in einem der Roteiros gestoßen sein, die ich hier ebenfalls beifüge. Bevor man die Karte verwenden kann, muss man ein außerordentlich schwieriges Rätsel lösen, was mir nie gelungen ist. Ich bin davon überzeugt, dass Asla es gelöst hat! Eines Morgens war sie fort, und ein kleines Segelboot wurde vermisst. Hilmar war völlig verzweifelt, hatte er doch geahnt, was seine Schwester vorhatte. Deine Mutter hat Dir von einem Liebhaber erzählt, mit dem sie geflohen sei, doch ist das nicht die Wahrheit. Ob Asla wirklich ihre Heimat wiedergefunden hat? Ich wage es kaum zu hoffen, doch wenn ein Mensch dazu imstande war, dann gewiss sie!

Die Karte zeigt ein Gebiet, das ständig von dichten Nebelbänken gesäumt ist, und kein ehrlicher Seefahrer würde sich dort hinein wagen. Daher wohl blieb die Insel, die darin liegen soll, bis heute unentdeckt. Folgende Anweisung gehört noch hinzu:

„Füll nur die leeren Hexagone / Mit einer Zahl von 1 bis 9. / Doch jede klar begrenzte Zone / Muss all sie tragen – groß bis klein. / Und in jeder graden Reihe / Von keiner Zahl soll’n stehen zweie. / Das Eiland zeigt sich frei geblieben / Von jeder 1 und jeder 7.“

Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Du eines Tages das Rätsel wirst lösen können und mein gebrochenes Versprechen erfüllen. So Gott will wirst Du dann auch die wunderbare Asla wiedersehen. In diesem Falle grüße sie recht herzlich von mir, mein Sohn. Lebe wohl!

Es umarmt Dich Dein Vater
Cristóvão Colombo

So weit also das historische Dokument. Wie lauten die Koordinaten der zentralen Inselzelle im letzten Rätsel?

Franz-Josef Schulte

Dieses Rätsel stammt aus der vergangenen Fairplay Nr. 144. In jeder Ausgabe werden unter allen Einsender*innen zwei Spiele verlost. Wenn Sie so wie ich Rätsel lieben, schauen Sie sich doch die aktuellste Ausgabe an!