Fairplay 145 – Gutes von gestern: Vinci & Small World

Philippe Keyaerts: VINCI für 3 – 6 Personen ab 14 Jahren mit Illustration von Cyril Saint Blancat bei Descartes Editeur 2000, Spieldauer 120 Minuten (nur gebraucht erhältlich), Made in … ohne Angabe

Philippe Keyaerts: SMALL WORLD für 2 – 5 Personen ab 8 Jahren mit Illustration von Miguel Coimbra und Cyrille Daujean bei Days of Wonder 2017, Spieldauer
40 – 90 Minuten, Made in Germany

In meinen Jugendjahren ging vom Spiel RISIKO eine enorme Anziehungskraft aus. Es verhieß Strategie und Taktik beim Kampf um die Weltherrschaft. Zu meinem 12. Geburtstag wünschte ich mir also sehnlichst das Spiel – und bekam es. Klar, ein paar Partien konnte man damals gut unterhalten werden, bis sich langsam bei mir die Erkenntnis durchsetze, dass das viele Würfeln und Kartenziehen doch ziemlich glückslastig und unbefriedigend sein kann.

Woher kommt diese Faszination, als Spielbrett eine Karte vor sich liegen zu haben, auf ihr eine gewalttätige Konfliktsituation durchzuspielen und dabei auch noch Freude zu haben? Das Versprechen nach einer epischen Schlacht, bei der man die Fäden in der Hand hat? Ich weiß es wirklich nicht, denn eigentlich bin ich doch Wehrdienstverweigerer. Aber wenn ich Spiele wie IMPERIAL, A FEW ACRES OF SNOW oder WALLENSTEIN sehe, dann kribbelt es mir sofort unter den Fingern. Die müssen nicht einmal besonders gut sein, wie eben RISIKO.


VINCI/SMALL WORLD sind Eroberungsspiele, aber wirklich gute. Im Gegensatz zu anderen Spielen dieser Art spielen wir nicht durchgängig mit einer Truppe. Der besondere Pfiff entsteht vielmehr dadurch, dass wir permanent abwägen müssen, ob es unser aktuelles Volk noch bringt oder ob die Zeit reif ist, dieses untergehen zu lassen und auf ein neues zu setzen. In einer Reihe sind immer sechs Zivilisationen/Völker aufgereiht, die durch zufällige Kombination immer zwei besondere Eigenschaften besitzen und dadurch auch festlegen, wie viele Spielsteine von dieser Zivilisation vorhanden sind. Die erste Zivilisation in der Reihe kann ich umsonst erhalten, für jede weiter hinten muss ich auf alle vorherigen Zivilisationen in der Reihe einen Siegpunkt legen, sodass diese für mich teurer wird und die übersprungenen attraktiver für die Mitspielenden. Mit der Zivilisation erobern wir dann auf einer Landkarte Provinzen. Das Erobern einer Provinz ist simpel, ohne jegliche Würfelei: Als Basis benötigen wir zwei Spielsteine, weitere Spielsteine für eventuelle Verteidiger und gegebenenfalls weitere oder weniger für Gelände oder Eigenschafts­besonderheiten.

Das verschafft uns so ca. 3-5 Provinzen im ersten Zug. Nach dem Umgruppieren unserer Spielsteine erhalten wir pro Provinz einen Siegpunkt und eventuell weitere Siegpunkte für eine unserer Eigenschaften. So beginnt auf dem Spielplan ein munteres Hauen und Stechen, bis zu dem Moment, in dem wir zu Beginn eines weiteren Zuges zu dem Schluss kommen, dass unsere Zivilisation ihren Zenit überschritten hat. Sei es dass sie zahlenmäßig durch andere dezimiert wurde, oder wir mittlerweile so viele Provinzen erobert haben, dass für weitere Eroberungen die vorhandenen Spielsteine nicht mehr ausreichen, oder abzusehen ist, dass wir demnächst gehörig auf die Nuss bekommen oder einfach eine super attraktive Zivilisation ganz vorne in der Reihe liegt. Dann erklären wir den Untergang unserer aktuellen Zivilisation und schnappen uns die nächste, so dass wir ab dann immer eine aktuelle und eine untergegangene Zivilisation auf dem Spielbrett haben. Für beide erhalten wir Siegpunkte, für die untergegangene Zivilisation allerdings nur noch für besetzte Provinzen und nicht mehr für Eigenschaften, die uns zuvor Punkte hätten bringen können.


In VINCI/SMALL WORLD müssen wir uns zwangsläufig immer wieder von unseren liebgewonnenen Zivilisationen und Völkern verabschieden. Wer zu lange am Thron seiner Zivilisation klebt, verliert. Das richtige Timing für den Absprung zu finden ist wichtig, aber auch die anderen im Blick zu haben, auf welche Provinzen sie es wahrscheinlich mit ihren aktuellen und potentiell zukünftigen Zivilisationen abgesehen haben. Wichtig ist auch, dass wir untergegangene und aktuelle Zivilisation zusammendenken. Denn wenn die aktive Zivilisation mit ihren Eroberungen gleich noch der untergegangenen helfen kann möglichst lange zu überdauern, sichert man sich wichtige Punkte.

2009 wurde das Spiel VINCI von Philippe Keyaerts aus dem Jahr 1999 als SMALL WORLD neu aufgelegt. Statt auf einer Europakarte liegt vor uns nun eine Fantasielandschaft mit Berg-, Wiesen-, Acker-, Meer- und Sumpf-Feldern. Statt bunten Spielsteinen dürfen wir nun Pappmarker mit Fantasie-Völkern, wie Riesen, Zauberern oder Orks auf der Karten hin und herschieben. Mittlerweile gibt es für SMALL WORLD zig gute und schlechte Erweiterungen: Neue Völker, neue Landkarten mit völlig verstrahlten Völkern, mal statisch, mal variabel im Aufbau, sogar eine thematische Ausgabe zum World of Warcraft-Franchise gibt es. Bei beiden Spielen ist die Anzahl der Mitspielenden wichtig. Mindestens vier sollten es schon sein. Durch ein optionales, kleineres Spielbrett ist SMALL WORLD aber auch noch gut zu dritt spielbar. Und spielen sie nicht mit Grübler*innen oder der „Alles-bis-zu-Ende-durchrechnen“-Spezies! Eine gesunde Bauchentscheidung sollte bei diesem Spiel dazugehören. Dann gehen die Runden schnell rum.


Muss es nun VINCI oder SMALL WORLD sein? Ich habe eine Spielrunde, da kommt nur SMALL WORLD auf den Tisch, weil sich einige in der Gruppe so in die Fantasy-Völker verguckt haben. VINCI spiele ich dagegen gerne auf der Internetseite Yucata.de – mittlerweile sind da 151 Partien zusammengekommen. Da ich persönlich die reale Welt jedem Fantasy­thema vorziehe, ist natürlich das Original mein Favorit, ich muss aber zugegeben, dass der Nachfolger eine Sache besser macht, bei der das Spiel vor allem atmosphärisch gewinnt: Dort werden nicht einfach nur zwei Eigenschaften mit einander verbunden, die dann ein Volk abstrakt symbolisieren, sondern eine Eigenschaft ist nun immer fest mit einem namengebendes Volk verbunden. Statt beispielsweise eine Kombination wie beispielsweise Landwirtschaft und Diplomatie vor sich liegen zu haben, die uns einen zusätzlichen Siegpunkt in den Getreideprovinzen und einen Nichtangriffspakt mit einem beliebigen Mitspieler verschaffen, könnte nun das Volk der Menschen (die gleiche Eigenschaft wie vorher Landwirtschaft) mit der Eigenschaft Diplomaten (die gleiche Eigenschaft wie vorher Diplomatie) verbunden werden. So wird die zuvor namenlose Eigenschaftskombination durch ein Volk mit Leben gefüllt und erzeugt viel mehr als im Original das Gefühl, im nächsten Zug den Elben auf die Mütze zu geben oder die Halblinge zu überrennen.
Das Leben ist zu kurz, um schlechte Eroberungsspiele zu spielen. Bei VINCI oder SMALL WORLD können Sie nichts falsch machen.


Jan Drewitz

Dieser Text erschien in der 145. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin.