Fairplay 132 – Rezension: Disney Villainous

Böse Miene zum guten Spiel!

Endlich mal ganz legal und gesellschaftlich akzeptiert ein Bösewicht sein. Anderen ungestraft eins Auswischen zu können. So richtig mies sein, ohne dafür ins Kittchen zu wandern. Gehört das nicht zu den geheimsten aller geheimen Sehnsüchte eines jeden Individuums? Nur zwei Gruppen von Menschen ist es vergönnt, diese Sehnsucht auszuleben: Schauspielern und uns (Gesellschafts-)Spielern. Was haben wir doch für ein Glück! Da kommt mir das Kartenspiel VILLLAINOUS gerade recht. Denn das englische villainous bedeutet auf Deutsch so viel wie schurkisch, schändlich. Der villain ist folglich der Schuft, Schurke oder Bösewicht.
Protagonisten in diesem Spiel sind die Schurken aus sechs bekannten Disneyfilmen. Diese Möchtegern-Gestalten, die sich für unfassbar niederträchtig halten, aber im Grunde mehr döspaddelig als finster agieren. Und am Ende natürlich immer von den Guten besiegt werden. Wirklich immer? Nein, nicht hier und jetzt, denn als Malefiz werde ich alles an Hinterhältigkeiten auffahren, was geht. Fürchtet euch, ihr Helden und Mitspieler. Das Böse wird heute obsiegen!

Jeder Charakter besitzt einen Satz spezifischer Bösewicht-Karten sowie eine Spielertafel, die die vier Hauptschauplätze der jeweiligen Filmvorlage zeigen. Jeder Bösewicht hat außerdem ein Deck mit Schicksalskarten. Darin befinden sich die braven Helden und netten Gestalten des Films. Schicksals-Karten spielen die Mitspieler aus, um mich an der Umsetzung meines schurkischen Plans zu hindern. Welchen ich als Malefiz habe, lese ich in meinem kleinen Handbuch nach. Aha, an allen vier Orten soll zeitgleich mindestens eine Fluchkarte liegen. Und Prinz John? Der giert nach 20 Machtchips. Die Herzkönigin? Nötigt ihre Kartenwächter als Krockettore zu buckeln, damit sie den perfekten Abschlag machen kann. Käpt’n Hook, Dschafar und Ursula? Sind schon etwas diffiziler. Sie müssen zuerst den ganz rechten Ort auf ihrer Spielertafel entriegeln, dann eine bestimmte Gegenstands-Karte dort ablegen und diese an das andere Ende der Spielertafel bringen. Obendrein sollen die drei ihre Helden um die Ecke bringen: Der Käpt’n den Peter Pan, Dschafar den Dschinni und Ursula König Triton. Gespielt wird reihum und so lange, bis ein Bösewicht sein Ziel erreicht hat. Eine festgelegte Rundenzahl gibt es nicht.

Wir starten jeden Zug mit vier Handkarten vom eigenen Bösewicht-Stapel. In jedem Zug muss der aktive Spieler außerdem seine Figur zu einem anderen Schauplatz auf seiner Spielertafel bewegen. Dort führt er die abgebildeten Aktionen in beliebiger Reihenfolge aus. In der Regel befinden sich an jedem Ort vier Aktionssymbole, zwei am oberen und zwei am unteren Rand. Das Aktionsangebot unterscheidet sich wiederum von Ort zu Ort. Insgesamt gibt es acht verschiedene Aktivitäten: 1-3 Machtchips erhalten, Karten gegen Bezahlung von Machtchips ausspielen oder an Orte anlegen, eine Fähigkeit auf einer angelegten Karte aktivieren, Bösewicht-Karten zu einem benachbarten Ort ziehen, Helden-Karten zu einem benachbarten Ort ziehen, einen Helden besiegen, Karten abwerfen und beim Gegner Schicksal spielen. Ja, ja das Schicksal. Alles könnte so schön schändlich für mein Alter Ego Malefiz laufen, würden einem diese verflixten Helden nicht die oberen Aktionsfelder eines Ortes verdecken. Zwei Aktionen weniger sind das eine, ihre speziellen Fähigkeiten das andere. Ich will die Nervensägen also möglichst flott wieder los werden. Dazu versammle ich Handlanger am selben Ort, mit mindestens gleicher Stärke wie die des Helden. Mit der Aktion „Helden besiegen“ wandern alle Beteiligten schließlich auf ihre Ablagestapel. Mist, da rückt auch schon der nächste Held aus der Warteschlange nach, ich muss die Prozedur wiederholen.

In Summe verschlingt das ziemlich viele Aktionen. Ich verliere mich in diesen Scharmützeln, komme ich gar nicht mehr von der Stelle. Die anderen Bösewichte ziehen mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht an mir vorüber. Bis ich irgendwann auf den Trichter gekommen bin, dass man die Helden auch mal ignorieren und sich lieber auf das persönliche Spielziel konzentrieren sollte. Die unscheinbare Aktion Karten abwerfen ist dabei sehr entscheidend. Mit ihr kann ich ungünstige Karten loswerden und den Bösewicht-Stapel nach den wichtigen Karten durchkämmen. Blöd nur, wenn die zuunterst im Deck liegen, während meine Gegner ihre schon längst in den Händen halten. Dann kann eine Partie ruck zuck zu Ende sein. VILLAINOUS ist eben ein Wettrennen, an dessen Ende einer jubelt und alle anderen jaulen, wie unfair dieses Spiel doch ist.

Strategisch spielen lässt sich VILLAINOUS wegen des offensichtlichen Kartenglücks nicht. Wohl aber taktisch. Wer planlos drauf los zockt, geht baden. Nach nunmehr etlichen Partien zeigt sich, dass hauptsächlich die eigene Spielweise über Sieg und Niederlage entscheidet. Bei VILLAINOUS muss ich mich in dem Dreieck Ziel verfolgen – Schicksal spielen – Helden besiegen clever bewegen. Da heißt es die Reihenfolge der Orte und ihrer Aktionen genau abzuwägen und dabei immer die Mitspieler im Blick behalten. Jeder Zug muss sitzen. Trödeln, verzetteln, Aktionen verplempern kostet ganz klar den Sieg. Gilt aber nur bei einer Partie zu zweit, maximal zu dritt. In einer Partie mit sechs Spielern präsentiert sich VILLAINOUS nämlich von seiner unschönsten Seite. Leider lügt die Packung nicht, wenn sie 20 Minuten pro Spieler veranschlagt. Macht nach Adam Riese 120 Minuten Gesamtdauer, und die werden schrecklich. Jeder gegen jeden oder alle auf einen ist anfangs vielleicht noch lustig, aber dann? Nur noch zäh, langweilig und frustig. Wer gewinnt ist letztlich auch egal, Hauptsache das Spiel ist endlich zu Ende. Genauso gut hätte man den Sieger auch auswürfeln können. Daher spiele ich VILLAINOUS nur noch zu zweit. Dann macht mir VILLAINOUS richtig Spaß!

Die Auswahl der Bösewichte und ihrer Fähigkeiten kann auf Missfallen stoßen, ist Fluch und Segen zugleich. Segen, weil die sechs Schurken Abwechslung und Wiederspielzreiz bieten. Fluch, weil die sie unterschiedlich stark sind. Beispielsweise haben Dschafar und Käptn‘ Hook kaum eine Chance gegen Prinz John. Hingegen sind Malefiz und Ursula in etwa gleich auf. Meiner Meinung nach liegt ein großer Teil des Spielvergnügens jedoch genau darin, das Potential und die Kombinationen der Bösewichte auszuloten. Und sollte wider Erwarten Dschafar gegen Prinz John erfolgreich sein, ist die Freude dementsprechend groß.

Fazit: VILLAINOUS hat Licht und Schatten. Mit den richtigen Leuten, in der richtigen Anzahl und der richtigen Taktik funktioniert es prima. Das muss man wissen, damit VILLAINIOUS sich nicht als Fehlkauf entpuppt. Und man muss wissen, dass sich einem der Spielspaß möglicherweise erst ab der dritten, vierten Partie offenbart. Da ist Durchhaltevermögen gefragt.

Ganz klar, für alle Disney-Fans unter den Spielern ist VILLAINOUS ein must have. Mein Kumpel ist so einer, deshalb hat er sich auch schon alle drei englischsprachigen Erweiterungen besorgt. Außerdem bescheinigt er dem Spiel, dass die Kartenfähigkeiten das filmische Geschehen hervorragend abbilden. Und dass die farbenfrohen Illustrationen originalgetreu sind, erkenne sogar ich. Auch die Materialqualität passt. Alles top.

Die erste Erweiterung namens Böse bis ins Mark gibt es schon auf Deutsch. Scheinbar haben die Macher jetzt auch verstanden, dass VILLAINOUS zu sechst nichts taugt. Alle drei eigenständigen Folgeboxen sind explizit für zwei bis drei Spieler ausgelegt. Gut, sie enthalten auch nur drei neue Bösewichte…
Aber die haben es in sich! Hades, Dr. Facilier und die Böse Königen aus der lila Box sind richtig fiese Gestalten und um einiges komplexer als die Schurken der Grundbox. Hades zum Beispiel sollte nur gegen Hades antreten. Sein Schicksalsdeck ist knallhart, und mit ihm zu spielen ist echte Sisyphusarbeit. Dr. Facilier ist von ähnlichem Kaliber, allein die Böse Königin hat es im Vergleich etwas leichter. Sie muss nur Schneewittchen besiegen.

Was muss das herrlich sein, als Spieleverlag so aus dem Vollen schöpfen zu können. Die Disney-Filme sind ja eine wahre Fundgrube an Bösewichten. Und in jedem Fall sind alle familientauglich, weil man sie wegen ihrer döspaddeligen Boshaftigkeit trotzdem irgendwie lieb haben muss. Interessanter als ihre meist glatt gebügelten Helden-Pendants sind sie allemal. Trotzdem sollte das optische Familiengewand nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier eher mit einem Spiel auf Kenner-, denn auf Rotem-Pöppel-Niveau zu tun haben. Die Altersangabe ab 10 Jahre ist überdies korrekt gewählt. Jüngere Kinder dürften mit dem Lesen der Kartentexte und der Spielweise überfordert sein. Dazu ist VILLAINOUS dann doch zu kopflastig.

Ich selber kann von VILLAINOUS zurzeit nicht genug bekommen. Meinen Wiederspielnerv reizt es so stark wie gerade kein anderes Spiel. Glück für mich, meinem Kumpel ergeht es gerade ganz genauso.

Astrid Diesen

Prospero Hall: DISNEY VILLAINOUS für 2 – 6 Personen mit Illustration von bei Ravensburger 2019, Spieldauer 50 Minuten

Dieser Text erschien in der 132. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 24 Euro im Jahr.