Fairplay 146 – Rezension: Match of the Century

Wettstreit der Systeme

Paolo Mori: MATCH OF THE CENTURY für 2 Personen ab 10 Jahren mit Illustration von Klemens Franz bei Deep Print Games und Pegasus Spiele 2023, Spieldauer 30 – 45 Minuten, Made in China

Ein Brettspiel, das ein Brettspiel simuliert. Irgendwie skurril. Es ist aber nicht irgendein Brettspiel, das wir in MATCH OF THE CENTURY nachspielen, sondern das Finale der Schachweltmeisterschaft 1972, das schon damals riesige Wellen schlug und von historischer Bedeutung ist. Während des Kalten Kriegs forderte US-Amerikaner Bobby Fischer den amtierenden Weltmeister Boris Spasski aus der Sowjetunion heraus. Im neuen Zwei-Personen-Spiel von Paolo Mori treten wir nun in ihren Rollen gegeneinander an.

Statt echtem Schach spielen wir in MATCH OF THE CENTURY Karten gegeneinander aus und versuchen so eine Teilpartie nach der anderen zu gewinnen – oder geben wir sie lieber bewusst verloren, um später umso härter zurückzuschlagen? Thematisch unterscheidet die Anleitung zwischen dem Wettkampf, womit das Gesamtmatch gemeint ist, und dem Begriff Partie, der jede der bis zu 13 Runden meint, die wir über den Verlauf des Wettkampfs spielen. Denn auch ein Schachfinale ist klassischerweise in mehrere Partien aufgeteilt. Was 1972 in Reykjavik über mehrere Monate ausgetragen wurde, schaffen wir aber in 30 bis 45 Minuten.

Statt echter Schachfiguren, treten wir mit Karten direkt gegeneinander an. Auf jeder Karte sind eine weiße und eine schwarze Figur zu sehen. Eine davon ist immer ein Bauer, die Figur auf der gegenüberliegenden Seite immer eine der acht anderen wie Läufer, Turm oder König. Sie sind mit Zahlenwerten verbunden. Die Bauern mit der 1, der König mit der 0 und alle anderen mit Werten zwischen 2 und 5.
In jeder Partie spielen wir wie beim Schach fest mit einer Farbe. Wer beginnt, legt eine Karte mit der weißen Schachfigur nach oben auf einen von vier Ablageplätzen vor sich auf den Spielplan. Mit Bauern, dieses Mal echte Holzfiguren, die ich über die gespielte Karte stelle, kann ich den Kartenwert noch um bis zu 2 erhöhen. Mein Gegenüber muss auf meine Karte mit schwarz reagieren und kann den Wert ebenfalls mit Bauern verstärken. Der höhere Wert gewinnt den Angriff.

Je nachdem, wo die Angreiferin oder der Angreifer eine Karte platziert, spielen wir bei jedem dieser Angriffe um ein bis vier Schritte auf der sogenannten Vorteilsleiste. Hat eine Seite einen uneinholbaren Vorteil herausgespielt, endet die Partie und der- oder diejenige erhält einen Punkt. Wer sieben Partien gewinnt, entscheidet den gesamten Wettkampf für sich und beweist damit im Stellvertreterkampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus die Überlegenheit des eigenen Systems – zumindest bis zum nächsten Duell.

Wer den Weltmeistertitel holen will, sollte bei der aktuellen Partie nicht nur die Werte der gerade relevanten Farbe im Blick behalten, sondern auch die im unteren Bereich der Karte. Denn am Rundenende dürfen wir übrige Karten für die nächste Partie behalten. Weil dann immer auch die Spielerfarbe wechselt, wir also die Karten um 180 Grad drehen, wird so aus einem Bauern mit Wert 1 schnell eine Dame mit Wert 5 – wenn wir aufmerksam gespielt und vorausgeplant haben.

Noch schwieriger ist das Finden der eigenen Taktik dank der Karteneffekte, die wir immer dann auslösen, wenn wir einen Angriff verlieren. Allen auf den Karten aufgedruckten Figuren ist immer auch ein solcher Effekt zugeordnet, der je nach Figur relativ schwach oder sehr stark ausfallen kann. Je wertvoller die Figur, umso stärker der Effekt. Ob ich eine Dame des Gegenübers schlage, überlege ich mir besser zweimal, wenn ich dafür die Hälfte meiner Karten verliere. Oder ich opfere in meiner Reaktion auf einen Angriff bewusst meine hohe Karte, um einen mächtigen Effekt zu nutzen und der Gegenseite ein genervtes “Ach, komm schon…” zu entlocken.

Dieses ständige Ausloten der eigenen Taktik macht neben dem Einschätzen und In-die-Irre-Führen der Gegnerin oder des Gegners den Reiz von MATCH OF THE CENTURY maßgeblich aus. Wie stark ist meine Hand für die aktuelle Runde? Wie kann ich diese Karten möglichst effektiv nutzen? Und lohnt sich ein starker Angriff wirklich oder gebe ich mich in dieser Partie nicht lieber bewusst geschlagen und nehme dafür die Effekte mit?

Übrigens ist MATCH OF THE CENTURY ein asymmetrisches Spiel. So trägt es den unterschiedlichen Voraussetzungen von Titelverteidiger und Herausforderer Rechnung. Spasski und Fischer haben jeweils ein eigenes Deck, dessen Karten auch unterschiedliche Effekte auslösen. Außerdem unterscheiden sich die sogenannten Zustandsleisten der beiden Kontrahenten. Sie stehen für die mentale Ausdauer und werden unter anderem über Karteneffekte gesteuert. Je fitter wir sind, umso mehr Karten, Bauern und manchmal sogar Vorteile erhalten wir zu Beginn der Partien. Aber Vorsicht: Die mentale Ausdauer kann auch sinken und es uns dann schwerer machen.

Die Unterschiede bei Karteneffekten und Zustandsleisten machen das Spiel auch thematischer. Denn der Herausforderer Fischer wirkt dadurch frischer, aber auch sprunghafter, während Titelverteidiger Spasski eher einen ruhigen, besonnenen Eindruck macht. Er hat außerdem einen klaren Vorteil: Im Falle eines Unentschiedens am Spielende, gewinnt Spasski. Auch dieses Detail trägt einem historischen Fakt Rechnung. Denn Bobby Fischer benötigte 12,5 Punkte zum Sieg, Spasski hingegen nur 12.

Dieser klare Fokus auf den historischen Kontext, der auch in einem Begleitheft näher beleuchtet wird, macht MATCH OF THE CENTURY in meinen Augen zum spirituellen Nachfolger von WATERGATE von Matthias Cramer, das 2019 bei Frosted Games erschienen und ebenfalls ein spannendes Duell ist. Trotz dieser Parallelen ist MATCH OF THE CENTURY aber ein ganz neues Spiel mit eigenständiger Mechanik, auf das Fans von WATERGATE unbedingt einen Blick werfen sollten.

Wer im Spiel zu zweit lieber mit wenig Interaktion vor sich hin puzzelt, sollte MATCH OF THE CENTURY hingegen lieber meiden. Denn hier steht wie in einer Schachpartie klar die Konfrontation und direkte Interaktion im Fokus. Wer aber genau daran Freude hat, findet im neuen Spiel von Paolo Mori einen hervorragenden Weg, gegeneinander anzutreten – und einen guten Grund, sich mit einem Stück Sportgeschichte zu beschäftigen.

Christoph Sachs