Fairplay 143 – Rezension: Worldbreakers

Asien im 13.Jahrhundert: Khutulun, die mongolische Prinzessin im Tschagatai-Khanat und Nachfahrin von Dschingis Khan, vereint die Horden und reitet westwärts. Zumindest in der Zeitlinie, in der WORLDBREAKERS spielt. Denn in dieser alternativen Weltgeschichte haben die Menschen Mythium entdeckt, eine geheimnisvolle Substanz. Wer sie verwendet, verstärkt seine persönlichen Fähigkeiten. Diejenigen, die besonders gut darin sind, werden WORLDBREAKERS genannt. Und Khutulun von der Erdgilde ist eine von diesen. Doch ein anderer Worldbreaker, Marco Polo von der Sternengilde, erfährt von ihren Plänen und flieht, um Europa zu warnen. Doch sie haben die Rechnung ohne die Muhandasat, den Rat der Ingenieurinnen, oder Ruknuddin Khurshah, den Herrscher von Alamut, gemacht.

In der DNA von WORLDBREAKERS stecken viele Gene von Sammelkartenspielen wie NETRUNNER oder MAGIC. Trotzdem hebt sich der amerikanische Kickstarter mühelos von anderen Deckbau-Duell-Spielen ab. In WORLDBREAKERS spielen wir jeweils einen der namensgebenden Menschen. Schon die ungewöhnliche Hintergrundgeschichte sorgt für Aufmerksamkeit. Zusätzlich bietet WORLDBREAKERS einen erstaunlich leichten Einstieg ins Spiel. Wie bei allen Spielen des Genres liegt eine einfache Regelstruktur zugrunde. Die Komplexität entsteht durch die Regeltexte auf den Karten. Die Design-Entscheidungen bei der Grundstruktur stellen die entscheidenden Weichen, wie sich das Spiel anfühlt.

Hier geht das so: Partien bestehen aus mehreren Runden und in jeder Runde sind wir abwechselnd viermal am Zug. Am Ende der Runde ziehen wir eine Karte nach, erhalten etwas Mythium und überprüfen die Siegbedingung: Wer zuerst 10 Machtpunkte besitzt, gewinnt das Spiel. Wer in der alten Runde zuletzt am Zug war, beginnt die neue Runde und macht damit einen Doppelzug. Durch diese Grundstruktur sind die einzelnen Züge sehr schnell. Anders als bei vielen Spielen ähnlicher Herkunft spiele nur ich während meines Zugs. Danach ist aber sofort mein Gegenüber am Zug und kann reagieren. Durch diese Struktur entsteht Spannung. Ich kann im Voraus planen, muss aber die unmittelbare Reaktion meines Gegenübers einberechnen. WORLDBREAKERS gut zu spielen, hat vor allem mit dem richtigen Timing zu tun. Ja, ich weiß, bei anderen Gesellschaftsspielen ist diese Struktur ganz normal. Stimmt, aber nicht in diesem Genre. Spielen Sie mal gegen ein MAGIC-Combo-Deck. Da warten Sie ewig, bis Sie wieder an der Reihe sind.

In meinem Zug entscheide ich mich für eine der möglichen Aktionen. Die einfachsten sind: eine Karte ziehen und ein Mythium nehmen. Diese Austauschbarkeit von Aktionen in Karten und Geld macht mich unabhängiger vom Kartenglück und gibt mir immer Handlungsfreiheit. Als weitere Aktionsmöglichkeit kann ich eine Karte ausspielen, solange ich die Mythiumkosten bezahlen kann. Das können Ereignisse sein, die einmalig mächtige Effekte bewirken. Oder es sind Orte, die ich als Aktion in einem späteren Zug entwickeln kann, um (vor allem) Machtpunkte zu erhalten. Oder es können Gefolgsleute sein, deren Fähigkeiten mir nützen oder mit denen ich angreife und so Machtpunkte sammle. In den Machtpunkten liegt eine für das Spielgefühl bemerkenswerte Nuance: Es geht nicht um Leben und Tod. Ich gewinne, weil ich Machtpunkte sammle, nicht weil ich mein Gegenüber vernichte.

Ich spiele WORLDBREAKERS ausgesprochen gern. Die Spielregeln sind einfach zu erklären und zu verstehen. Nach weit über 50 Partien haben wir uns auf eine Spieldauer von etwa 25 Minuten eingependelt, die durch die minimale Downtime verfliegt. Natürlich liebe ich generell Kartenspiele wie WORLDBREAKERS. Aber hier glänzt nicht nur die Mechanik, sondern auch die Ausgestaltung. Elli Amir hat umfangreich historische und kulturelle Details recherchiert und einfließen lassen. Das wird nicht nur and der Gestaltung des Settings deutlich, sondern auch an der der Karten. Beim Research Day auf der SPIEL wurde viel über die Themen Diversität und Repräsentation diskutiert. In WORLDBREAKERS ist das Wirklichkeit. Die Vielfalt menschlichen Lebens ist hier repräsentiert.

In der schmalen Spielschachtel befinden sich u.a. vier vorbereitete Kartendecks enthalten. Es kann also direkt losgehen mit Khutulun gegen Marco Polo oder den anderen Worldbreakers. Außerdem können wir natürlich aus den enthaltenen Karten eigene Decks zusammenstellen oder eine der zahlreichen Draft-Varianten ausprobieren, die wir von MAGIC und Co. kennen. Den Solomodus kann ich nur wärmstens empfehlen. Allein spielen liegt mir normalerweise nicht. Aber hier im Solomodus entspinnt sich über 10 Kapitel eine Geschichte, die mir gut gefallen hat. Der Automa spielt verständlich und ist einfach zu verwalten und der Schwierigkeitsgrad ist knackig aber fair.

Elli Amir erzählte im Interview, dass eine erste Erweiterung bereits in Vorbereitung sei. Letztlich hänge aber jede weitere Entwicklung davon ab, wie viele Menschen sich von Khutulun und den anderen Worldbreakers in den Bann ziehen lassen. Mir persönlich gefällt das Gesamtpaket außerordentlich gut: das Setting, die eleganten Regeln, das spannende Hin und Her der Rundenstruktur, die grafische Gestaltung und ja, auch der Solomodus. Mythium gibt es leider oder glücklicherweise nicht in echt. Falls doch, könnte es gut sein, dass etwas davon in diesem Spiel steckt.

Marcus Eibrink-Lunzenauer

Elli Amir: WORLDBREAKERS: ADVENT OF THE KHANATE für 1 – 2 Personen ab 13 Jahren mit Illustration von Imad Awan, Chinzorig Batochir, Nele Diel, Zefanya Maega, Emilio Rodriguez, Diletta De Santis 2023 uvm., Spieldauer 30 – 45 Minuten, Made in China https://worldbreakersgame.com

Drei Fragen an Elli Amir

FairplayIch habe gelesen, dass Sie gerne AGRICOLA spielen. Welche anderen Brettspiele haben die Entwicklung von WORLDBREAKERS beeinflusst?
Elli Amir Ich spiele seit 30 Jahren Brettspiele und viele der Spiele, die ich kennengelernt habe, haben WORLDBREAKERS in der einen oder anderen Weise beeinflusst. NETRUNNER und AGRICOLA sind definitiv die beiden wichtigsten Einflüsse. MAGIC: THE GATHERING war ebenfalls eine Inspirationsquelle, insbesondere der Kampf. Mit seinen viel zu komplizierten Regeln und der Verwendung von Landkarten im Deck hat es mir auch gezeigt, was ich vermeiden wollte. Jamie Perconti hat mich beim Design unterstützt und brachte Ideen aus dem ARKHAM HORROR LCG ein, wie die Mulligan-Regel und wie die Regeltexte auf den Karten strukturiert sind.

FPAuffällig viele der Kickstarter-Backer von WORLD­BREAKERS spielen auch NETRUNNER. Warum ist das so?
EA WORLDBREAKERS greift stark auf NETRUNNER zurück, mit Mechanismen wie den vier Aktionen pro Runde und der ökonomischen Engine. Ich schätze die Spannung, die NETRUNNER in sich trägt, und habe WORLDBREAKERS so konzipiert, dass es ein ähnliches Hin und Her gibt. Früher habe ich außerdem viel NETRUNNER gespielt, bin zu Veranstaltungen gereist und habe Dutzende von Turnieren in New York City ausgerichtet. NETRUNNER-Spieler sind unglaublich begeisterungsfähig. Ich glaube, dass viele von ihnen WORLDBREAKERS zum ersten Mal ausprobierten, weil sie mich kannten und das Spiel dann mochten.

FPDas Spiel spielt in Asien im 13. Jahrhundert, was ziemlich unge­wöhnlich ist. Wieso haben Sie gerade dieses Setting gewählt?
EA Ich bin ein Fan von Alternativgeschichte als Genre, vor allem in Kombination mit Fantasy, und das war von Beginn an der thematische Hintergrund für WORLDBREAKERS. Die nächsten Fragen waren Wann und Wo. Eines meiner Hauptprobleme bei Brettspielen ist die Fokussierung auf Kolonialismus und westliche Hegemonie, deshalb wollte ich ein anti-hegemoniales Spiel, eines ohne eine dominante Macht. Asien im 13. Jahrhundert bot sich als die historische Periode an, in der das „World System“ am stärksten war und nicht von einem oder zwei Nationalstaaten dominiert wurde

Dieser Text erschien in der 143. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin oder bestellen Sie das einzelne Heft.