Editorial 129

Liebe Leserinnen und Leser,

bei uns geht alles seinen Gang, auch bei Veränderungen. Allerdings muss schon ein steter Tropfen den Stein aushöhlen. Selbst dann besteht immer noch die Möglichkeit, dass sich nichts ändert. Selbst wenn wer uns mit Kündigung droht. Was sind wir dickfellig. Da werden meine Knechte erst recht bockig und machen weiterhin ihr Ding. Gewohnt ist gewohnt. Ich hab‘ denen trotzdem mal auf die Füße getreten, aber ob es was hilft? Ich weiß leider erst, wenn ich das Heft in der Hand halte, ob jetzt endlich Sprache und Spieldauer im Artikelfuß angegeben sind.

Falls nicht, folgen Sie doch einfach Ihrem Riecher und Ihrer Erfahrung. Sie sind doch schon langjähriger Abonnent. Scheint der Titel auf Englisch zu sein, und der Verlag ist nicht altbekannt, handelt es sich bestimmt um ein anspruchsvolles Spiel mit englischer Regel. Andersherum ist es ganz sicher auch genau anders herum. Hat die Rezension einer meiner langjährigen Stallknechte geschrieben, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das Spiel auf Deutsch ist und meist nicht länger als 90 Minuten dauert. Ist die Rezension von unseren jüngeren Stallburschen, ist die Chance mindestens 50:50, dass es entweder auf Englisch ist oder länger dauert oder gar beides. Hilft das?

Apropos helfen. Die Jury hat in Hamburg ihren „Tag der Brettspielkritik“ veranstaltet. Warum eigentlich? Ich war selbst nicht vor Ort, Pferde dürfen nicht überall hin, verfüge aber dennoch über gesicherte Informationen. Jedenfalls hat sich die Jury doch reichlich Mühe gegeben, in Workshops und Vorträgen Spielerinnen und Spieler geschriebene oder gesendete Rezensionen nahezubringen. Alles gut und schön, aber aus meinem Stall weiß ich ganz genau: Ratschläge sind auch Schläge und informelle Tipps sind die besten. Da ist mir der sogenannte New Boardgame Journalism doch viel zu akademisch aufgehängt. Die Praxis zählt. Ich setze gerne auf neue Stallburschen, aus denen machen wir gute Knechte. Natürlich muss ich denen auch mal auf die Füße steigen, aber ebenso Fehler verzeihen. Nur eine Drohung bleibt: Wer in die Jury geht, verlässt meinen Stall.

Ansonsten war das wohl eine gelungene Veranstaltung. Tagsüber wurde gearbeitet, abends gespielt. Und natürlich dominierten wie so oft in der Spielszene die Männer. Das Thema ist mir aktuell schon viel zu überstrapaziert. In meinem Stall sind schließlich auch nur zwei Frauen unter 15 Männern und einem Hengst. Immerhin! Woher also nehmen? So war der Workshop mit Katrin Reil – der einzigen Referentin – besonders spannend. Wenn überhaupt Frauen in der Szene vertreten sind, dann stark im Bereich der Pressearbeit. Aber das wissen wir auch schon lange. Ändert sich daran mittelfristig was?

Bei der Jury ändert sich auch genau nix. Die rote Jury hat zwei Männer neu aufgenommen, Erkennungsmerkmal „Bart“. Nicht nur das, die beiden sind sympathisch, schon in der Szene verhaftet und passen zu 100% in das Beuteschema der Jury. Mal davon abzuweichen, das traut sich die Jury leider wieder nicht. Da ist alles eine Soße, alle vom selben Stamme. Ist der Jury das Risiko zu groß, auf einen Querkopf à la dem „Erfinder von allem“ zu treffen? So wird sich nie was an deren Betulichkeit ändern. Könnte die Jury für den roten und grauen Bereich nicht ebenso wie für die Kinderspieljury eine Ausschreibung machen, um Kandidatinnen und Kandidaten jenseits des üblichen Beuteschemas zu finden, sich breiter aufzustellen? Ein bisschen mehr Mut täte der Jury gut. Ich kann die mittlerweile gar nicht mehr auseinander halten. Die sehen alle so gleich aus, aber nicht wie Harald und Udo. Die waren schließlich in meinem Stall, die erkenne ich sofort.

Aber wer weiß, wahrscheinlich waren die Tage der Brettspielkritik sowieso nur ein verdecktes Auswahlverfahren, um potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten kennenzulernen und ihnen ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Die beiden neuen Mitglieder der Jury waren jedenfalls auch vor Ort. Ob die Entscheidung erst dort gefallen ist, sie aufzunehmen?

Ich für meinen Teil bin über den bunten Haufen in meinem Stall sehr froh. Da geht es mitunter hoch her, oft anarchistisch und trotzdem stellen wir immer noch unser Heft auf die Beine. Und wenn Sie wollen, kommen Sie in Essen gerne an unseren Stand 3k102. Sprechen Sie mit uns. Bei uns im Stall sind alle nett. Und selbst ich bin nicht immer bissig.

Ihr Harry