Editorial 124

Liebe Leserinnen und Leser,

die Fairplay ist nach 30 Jahren immer noch für Veränderungen offen und für Überraschungen gut. Deswegen darf ich heute ran. Ich bin die relativ Neue im Stall von Old Harry und seinen Knechten. Ja, Sie haben richtig gelesen, DIE NeuE. Tatsächlich ein weibliches Wesen aus Fleisch und Blut, das viel spielt, das die Hufe gerne an Eurogames legt, sich sogar abends im Heu mit Spielregeln beschäftigt und heute an Sie wendet. Einerseits weil der gute Harry mal eine Pause braucht, andererseits weil ich seit Kurzem die selbsternannte AfG im Stall bin, die Ansprechpartnerin für Gleichstellungsfragen. Warf ich doch kürzlich wieder die alte Frage auf, warum das weibliche Geschlecht im Vielspielerbereich derart unterrepräsentiert, bzw. das männliche so übermächtig vertreten ist.

Dabei hatte ich gar keine Antwort erwartet, ehrlich gesagt auch nicht für möglich gehalten. Aber es gibt sie, und sie ist im Grunde total simpel! Geliefert von der Fairplay selber, ganz zufällig, völlig überraschend. Sehen Sie sich das Cover der 123. Ausgabe einmal ganz genau an. Dort ist die Antwort bunt auf orange abgebildet! Nein, das sind nicht einfach nur gestreifte Ostereier mit Meeplen drauf. Decken Sie mal die untere Hälfte mit einem Blatt Papier ab. Was sehen Sie nun? Keimende Kartoffeln? Optisch naheliegend, aber falsch. Noch mal hinschauen, tadaaaa, vor Ihren Augen entfaltet sich … das „Neeplecover“. Sie wissen, was ich meine, gell? Und bei dem Anblick ist mir schlagartig klar geworden: In den Köpfen der Männer werden Meeple unbewusst für weibliche Neeple gehalten! Und weil Mann damit vielleicht nicht so oft spielen darf, wie Mann gerne würde, greift er ersatzweise zu den Spielfiguren. Frauen haben dieses Bedürfnis weniger, ergo findet man sie auch weniger am Spieltisch. Dass ich da nicht schon früher drauf gekommen bin. Ist das jetzt die umfassende Antwort, die alles erklärt oder ist es nur eine Antwort unter vielen? Oder ist es in Ihren Augen gar keine? Zu Freuds Zeiten wäre es sicherlich eine gewesen.

Spaß beiseite, Meeple sind natürlich keine Neeple und Spielen keine Ersatzbefriedigung. In meiner Funktion als AfG kann ich diese billige Schlussfolgerung auf keinen Fall zulassen. Sexistische, monokausale Erklärungen gehen gar nicht. Also wieder zurück zum Anfang: Wo bleiben die (Viel)Spielerinnen? Auch wir sind nur zu zweit im Fairplaystall. Das 9:1 Verhältnis der Spiel-des-Jahres-Jury finde ich erschreckend für ein Traditionsunternehmen von nationaler und sogar internationaler Bedeutung. Da sträubt sich mir das Nackenfell. Liebe Jurymänner, ich fordere euch deshalb inständig auf: Holt mehr Frauen in euer rotes und graues Team. Ihr müsstet euch vielleicht etwas anstrengen, sie zu finden. Es ist aber ganz gewiss die Mühe wert, schließlich kürt der rote Pöppel das Familienspiel, ich betone, FAMILIENspiel – und ohne Frauen keine Familien, das weiß doch jeder. Mit AZUL ist in diesem Jahr wenigstens ein Titel im Rennen, der nachweislich vielen Damen gefällt, die ansonsten mit Brettspielen wenig am Hut haben. THE MIND und LUXOR bedienen da eher die andere Seite der Familie. Die aktuellen Kennerspiel-Nominierungen sind thematisch gesehen völlig auf den männlichen Geschmack zugeschnitten: Bier brauen, quacksalben und cleverkniffeln. Nichts, was Kaumspieler-Frauen anspricht oder zumindest neugierig auf die Kennerspiele machen würde. Dieser Liste hätte in meinen Augen ein RAJAS OF THE GANGES gut zu Gesicht gestanden. Darin geht’s zwar um den Aufstieg zum Herrscher, doch dem Spiel würde ich zutrauen, durch seine farbenfrohe Gestaltung und sein heiteres Spielgefühl Frauen für komplexere Titel zu begeistern. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Leider ist RAJAS nicht einmal auf der Empfehlungsliste gelandet. Es drängt sich die Frage auf, ob die Jurymänner zu sehr ihrem eigenen männlichen Geschmack unterliegen? Oder ist ähnlicher Geschmack Einstellungskriterium für alle Juroren? Unterstellen will ich nichts, lediglich ein Steinchen ins Wasser werfen. Das bin ich mir und meiner Funktion ab und an schuldig.

Liebe Leserinnen und Leser, vielleicht haben Sie ja mal Lust, uns einen Leserbrief mit Ihrer Sicht der Gender-Dinge zu schicken? Ich würde mich sehr freuen und der Harry erlaubt bestimmt, ihn abzudrucken. Oder Harry? Bis dahin spielen Sie schön.

Ihre Mafalda