Editorial 111

Liebe Kennerinnen und Kenner des Szenesumpfs,

Ach, früher war doch alles besser. Ganz einfach, weil es anders war, viel persönlicher. Ja, tatsächlich: Man kannte sich, sprach miteinander … wenigstens ein Mal. Allerdings war die Szene auch damals schon ein Sumpf, lebte von Zu- und Abneigungen. Das jedenfalls konstatierte eine wandelnde Lederjacke vor Jahren in schöner Regelmäßigkeit an unserem Stand in Essen. Der Mann kam zu uns, sprach zu uns, legte manchmal Beweise, manchmal Gerüchte auf den Tresen, diskutierte frotzelig mit uns und verschwand wieder. Irgendwann für immer, der Sumpf hatte ihn und seine kleine Zeitung verschluckt. Die Lederjacke ist mir trotzdem in Erinnerung geblieben.

Heute ist die Szene viel flüchtiger. Kein Wunder, denn wer druckt noch auf Papier?! Was sind mir schon für Webseiten unter die Hufe kommen … Mit viel Elan gestartet, um oft genug das Rad neu zu erfinden. Irgendwann war Schluss mit lustig, vielleicht weil die Wohnung mit Rezensionsmustern vollgestopft und der Anhang über die vielen Schachteln „not amused“ war. Vielleicht, weil es den reinen Selbstzweck erfüllt, aber sonst nix oder nicht genügend eingebracht hat. So ein Pferdchen hatten wir auch mal im Stall. Es wurde anders genannt als es sich schrieb und scheint mundtot zu sein. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen, Seiten die Platz für den eigenen Auftritt bieten, die deshalb gute Chancen auf Fortbestehen haben, weil viele für den Inhalt sorgen.
Boardgamegeek ist so eine Seite, aber auch ein paar deutsche Foren. Foren haben ja durchaus einen besonderen Unterhaltungswert für die Herde, in erster Linie natürlich für die aktiven Schreiber! Lassen wir die sachlichen Anfragen nach der Exegese diverser Regelverse mal außen vor. Ist nur trockenes Brot, wird aber trotzdem bereitwillig und hilfreich von berufenen oder selbsterklärten Exegeten bearbeitet. Es geht eher ums Menschelnde, wenn sich Minder- und Mehrheitsmeinung beharken. Ist teils wie bei uns im Stall, allerdings muss bei uns nur selten jemand mit blauem Auge abtreten.

Apropos, blaue Augen. Veilchenträger hat es viele gegeben. Kein Wunder, dass einige Träger der Szene in den Foren gar nicht erst oder mehr in den Ring steigen, sich den Kirmesboxern dort verweigern. Vorneweg natürlich die Jury, wohl wissend, dass gegen Forendobermänner oder selbstgerechte Rechthaber mit arroganter Attitüde kein Kraut gewachsen ist. Früher fand ich die Kirmesboxer teils noch amüsant, heute nur noch selbstgerecht, besonders weil jeder dieser Boxer sich für einen Gladiator hält, der für eine bessere Spielewelt kämpft … und sich immer selbst zum Sieger erklärt. Gegen echte Kirmesboxer hat ja auch niemand den Hauch einer Chance, selbst Profiboxer nicht. Und wer geht schon auf der Kirmes zu den Boxern? Schläger? Hooligans? Voyeuristisches Bratzenpack?

So einen Boxkampf musste neulich eine Spiele-Fanseite im eigenen Forum austragen. Spielama vergibt jedes Jahr in einer offenen Abstimmung ihr ComunityLama, nur dass dieses Jahr das Ergebnis die Macher verschreckte. Da tauchen doch tatsächlich zwei per Crowdfunding finanzierte deutsche Spiele unter den Top 10 auf. Eines davon gewinnt mit Abstand die Abstimmung. Ist das ein Wunder?!

Diese Form der Meinungsmache ist in meinem Stall seit Beginn unserer Scoutaktion bekannt. Bei offener Abstimmung wird es immer wen geben, der „seine“ Leute zur Abstimmung schickt. Dafür ist unsere Szene einfach zu klein, als dass das ohne Ausschlag bliebe. Wir haben diesem Treiben vor Jahren mit unseren Scoutausweisen einen Riegel vorschieben müssen. Ist das schön, dass auch dieses Rad neu erfunden werden muss? Im Internet ist das Schicken von Stimmvieh so einfach: Link gesetzt und die eigenen Unterstützer aufgefordert, bei Spielama fürs eigene Spiel zu voten. Klicken kostet nix, außer dass es sich zu einem Eigentor für den Verlag entwickeln kann. Selbst die Rücknahme der Nominierung des siegreichen Spiels nützt nichts mehr. Verbrannt ist verbrannt, und in unserem kleinen Szenesumpf ist das ein Super-Gau. So etwas braucht extrem lange, um spurlos im Sumpf zu versinken … wenn es denn überhaupt jemals untergeht. Und ich habe da ein Elefanten …äh … Pferdegedächtnis.

In diesem Sinne

Ihr Harry

2 Kommentare zu „Editorial 111“

  1. Wäre es eine Idee die neueste Fairplay online als PDF zu veröffentlichen? Aufgrund des Poststreiks kommt die wohl kaum bei jemand rechtzeitig an?
    Oder vielleicht wenigstens Teile davon?

    Thomas (1303)

  2. Hallo Thomas,
    entschuldige bitte, dass die Moderation deines Kommentars (und diese Antwort darauf) ein wenig gedauert hat. Nach der Redaktionszeit hat sich oft einiges aufgestaut, das erledigt werden will.
    Vielen Dank für deine Idee. Leider wäre es ein ziemlich hoher Aufwand – ich müsste im Prinzip ja pro Abonnent die Infos prüfen und freischalten. Eine bessere Lösung wäre natürlich technisch möglich, müsste aber auch erst eingerichtet werden und kostet Geld und Zeit.
    Wer wirklich das Heft absolut nicht zeitnah erhält, kann sich gerne unter scoutaktion (at) fairplay-online (punkt) de melden. Diese Mailadresse wird von mehreren Redakteuren gelesen, ich schaue auf jeden Fall regelmäßig in die Inbox. In Ausnahmefällen kann ich Zugriff auf das PDF ermöglichen, allerdings ohne jeglichen Navigationskomfort. Denn es ist die Vorlage für die Druckerei, keine Lese-Version.
    Alles Gute von
    Kathrin.

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