Editorial 108

Liebe Rechthaberinnen und Rechthaber,

ist es nicht schön, wenn man immer Recht hat? Dann muss man sich niemals rechtfertigen, es keinem Recht machen. So wie die Jury …oder der Papst. Sie sind beide in ihren Entscheidungen unfehlbar, wobei ich ja beim Franziskus noch gewisse Hoffnungen hege. Ich dagegen bin ja nur ein dummes Pferd, aber manchmal wünschte ich, ich hätte nicht immer Recht. Im der letzten Ausgabe hab‘ ich noch großspurig darauf gewettet, dass eine Nominierung von LOVE LETTER doch sehr unwahrscheinlich sei. Als Buchmacher habe ich dem Spiel keine echten Chancen bei der Jury zugetraut und eine Wette von bis zu 50 zu 1 angeboten.
Und was ist passiert? Ich habe Recht behalten, die Einsätze hätte ich kassiert. Aber ehrlich, das ist doch Mist! Eigentlich hätte ich LOVE LETTER alles gegönnt, wenn ich mir jetzt so anschaue, was stattdessen nominiert worden ist. Und wenn ich mir so die Noten meiner Knechte für CAMEL UP, CONCEPT und SPLENDOR so ansehe, bin ich irgendwie sprachlos. Die Noten der drei Spitzentitel tendieren eher gegen Drei, für CAMEL UP sogar fast durchgängig gegen Vier. Liegen unsere schlechten Noten nun wirklich daran, dass die Spiele nicht ankommen? Oder liegen die schlechteren Noten daran, dass nominierte Spiele eine gewisse Fallhöhe erreichen? Dann können wir sie im freien Fall immer weiter runter gehen lassen, damit diese Spiele auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Nach dieser Logik müssten wir dann wohl auch die nominierten grauen Spiele für die Profis bewerten. Nun ja, da sind unsere Noten dann doch besser. Trotz Nominierung sticht ISTANBUL sogar notenmäßig etwas mehr hervor als ROKOKO oder CONCORDIA. Aber lesen Sie dazu auch unseren Kommentar von Peter Nos über die ganz normale Normalität der nominierten Spiele…
Und der Schluss daraus: Die einzigen, die immer Recht haben, sind wir. Nur leider bekommen wir nie Recht, auf uns hört ja niemand … außer Ihnen natürlich. Hoffe ich jedenfalls, denn wer unsere Hefte regelmäßig liest, weiß Bescheid. Insofern hoffe ich ganz eindeutig auf Ihre Stimmen für den Deutschen Spiele Preis. Da haben Sie noch ein bisschen Zeit. Bis zum 31.07. dürfen Sie abstimmen, per Postkarte oder im Internet. Vergessen Sie’s bloß nicht, damit die Jury dann sieht, dass keines Ihrer roten Spiele unter Profis ankommt. Oder doch? Ist mir egal, denn meine Favoriten dieses Jahres sind klar. Welche? Nee, Leute, ich muss es nicht allen recht machen.
Aber schauen Sie sich doch im Heft unsere Auflistung kleiner feiner Spiele an. Wenn die Jury schon schnell wieder zu bekannten Mustern wie die Größe der Schachtel kommt, setzen wir einen Kontrapunkt. Haben wir schon immer mit dem à la carte-Preis gemacht, jetzt ergänzen wir die guten Kartenspiele noch um ein paar gute andere Spiele, die ebenfalls in kleiner Schachtel erschienen sind. Komisch eigentlich, dass es da doch wieder eine ganze Menge Mehrfachnennungen gibt und dass sogar das leicht schräge PARADE öfters genannt wird. Ist ja so gar nicht Mainstream.
In diesem Sinne: Bleiben Sie Individualist, spielen Sie, was Ihnen gefällt. Missionieren Sie in Ihrem Sinn, dann missionieren Sie nicht für die Verlage, sondern für den Spaß am Spielen. Und haben Sie nicht immer Recht. Macht das Leben echt einfacher …
Und außerdem beginnt ja jetzt die Saure-Gurken-Zeit, die gar nicht so sauer ist. Der aktuelle Jahrgang ist abgeschlossen, und Sie könnten jetzt endlich all‘ die Spiele auf den Tisch bringen, die Sie schon immer oder wieder spielen wollten. Die Neuheiten sind ja alle schon durch, die Spreu ist vom Weizen getrennt, die diesjährige Ernte eingefahren. Alle guten Spiele aufs Tischchen, die schlechten sind mir egal.
In diesem Sinne
Ihr Harry