Editorial 106

Liebe Leserinnen und Leser,

das haben wir doch gut hinbekommen. Neue Hallen, neue Hallenaufteilung und unser Stand ist so wie immer. Und auch der Einsatz meiner Knechte. Hätte auch gar nichts anderes erwartet. Nur manchmal kam ein Verirrter Messebesucher mit hörbarer Erleichterung an unseren Stand: „Ach … hier seid ihr!“ Kann ich gut nachvollziehen, fühlte ich mich doch auch zeitweilig verloren. In manchen Gängen hab‘ ich keinen Überblick mehr gehabt. Waren das schon immer so viele Stände? Ein komisches Gefühl, sich wieder als absoluter Neuling zu fühlen, auf Entdeckungstour zu gehen, ein klein wenig überfordert zu sein. Meine alte innere Landkarte konnte ich ja komplett abschreiben, dabei hat man als Pferd doch gemeinhin einen guten Riecher, vertraut seiner Witterung. Immerhin bin ich so auf Klaus Geis gestoßen, der mir sein EBBES in humorvoller pfälzer Mundart so toll erklärte, dass ich den Mann auf der Stelle als Stallalleinunterhalter engagiert hätte.

Trotzdem hab‘ ich so manche Stände nicht auf Anhieb gefunden. Hatte es nicht immer auf dem Schirm, dass mancher Kleinverlag nur ganz klein auf einer größeren Standfläche präsent war und mir so gar nicht ins Auge springen wollte. Natürlich alles meine Schuld. Ich hätte mich einfach besser vorbereiten, hätte die Hallenpläne ausdrucken müssen, aber bloß nicht die vom Veranstalter. Damit, habe ich gehört, wird man nix. Da gibt’s einen Fan, der die Pläne für Fans aufbereitet. Ich konnte nur ganz kurz einen Blick auf so einen Plan werfen und leider fast nix erkennen. Trotz DIN-A3. Der professionelle Essen-Besucher hatte so viele handschriftliche Bemerkungen hinzugefügt, so viele Stellen mit Textmarker markiert, dass ich kaum den Eindruck eines sinnhaften Plans, dafür den eines Kunstwerkes hatte. Also, lieber professionell vorbereiteter Messebesucher: Darf ich mir Ihren Plan an die Stallwand hängen?
Was ich mir noch an die Wand hängen würde, wäre eine fette Strichliste, um all die Diskussionen abzuhaken, die in schöner Regelmäßigkeit im Lichte der Öffentlichkeit auftauchen. Dabei meine ich natürlich nicht das ewige Orakeln, welche Spiele man in Essen unbedingt kaufen muss. Nee, nur ’ne ganz alte Geschichte, die wir in einer berühmt berüchtigten Fairplay-Kreiseldiskussion schon vor mehr als 20 Jahren abgearbeitet haben. Wie muss Spielejournalismus sein und wie kann man den professionalisieren, um damit das breite Publikum anzusprechen?
Nur dass das schon klar ist: Ich lasse für Sie schreiben, und Sie sind Fachpublikum. Uns kauft niemand am Kiosk. Trotzdem ist ein gewisser Unterhaltungsfaktor wichtig. Manchmal werde ich geradezu ungnädig, wenn ich wieder und wieder Regelnacherzählungen lesen muss. Leute, dass muss doch nicht sein. Oder sind Sie der Meinung eines Lesers von vor 20 Jahren, dass wir doch bitte die Anleitung abdrucken sollten. Nur dann hätte er die Chance, sich selbst einen Eindruck vom Spiel machen und es quasi selbst rezensieren zu können. Damals haben wir einhellig gedacht: Was für ein Oberblödsinnsschwachsinn.
Und heute? Sie lesen vielleicht auch bereits die Regeln von Spielen, die noch gar nicht veröffentlicht sind. Sind Sie sich wirklich sicher, dass das Spiel dann in Ihrer Gedankenwelt nicht vorverurteilt wird oder anders herum, viel positiver gesehen wird als später in der Realität. Dass Sie, wenn Sie’s spielen, dann nur noch die Bestätigung Ihrer vorgefertigten Meinung suchen. Vorsicht, Vorsicht! Erliegen Sie bloß nie der Verlockung, sich selbst sagen zu hören: „Das habe ich doch schon vorher gewusst.“ Reiben Sie sich im Zweifel lieber an den Meinungen meiner Knechte. Die haben zumeist schon über eine lange Zeit Erfahrung unter meiner Knute sammeln dürfen, die wissen also, wie’s laufen muss.
Schon mal schöne Feiertage … spielen Sie schön alte und neue Spiele, und bleiben Sie neugierig.
Und was ich mir wünsche?! Denken Sie auf keinen Fall schon an die Nürnberger Neuheiten. Essen ist immer noch nicht abgefrühstückt.
Ihr Harry