Spielen — Barrierefrei ?

Endlich wieder Spielen, und alle machen mit

Das Leben stellt uns vor einige Barrieren, manche sind unsichtbar, andere kennen nur ältere Personen, etliche nur Kinder, zum Beispiel den unerreichbaren Süßigkeitenschrank in der Küche. Wir wollen über die Barrieren beim Spielen sprechen und wie Verlage und Mitspielende am Spieltisch auf die teils besonderen Situationen eingehen.

Für mich war ein Treffen zum Spielen immer ein ganz normales Hobby, bequem mit der Familie oder Freunden an den Tisch setzen. (SIEDLER VON) CATAN, ARCHE NOVA, WIZARD oder DUNGEONS&DRAGONS wurden ausgepackt, Regeln erklärt und losgespielt. Jede Spielerin, jeder Spieler, alle konnten mitmachen. War das wirklich so? Eine Mitspielerin hat immer ihre Brille hochgezogen, um das Spielmaterial mit bloßem Auge aus nächster Nähe zu untersuchen, ein Mitspieler hatte auffällige Probleme ruhig zu sitzen und sich über längere Zeit zu konzentrieren.

Ist das grün oder blau?

Die Frage dürftet ihr wahrscheinlich auch schon einmal gehört haben. Vielleicht sogar von mir. Ich hatte als Kind immer äußerst gute Augen, brauchte keine Brille, hatte keine Probleme eine Farbe von der anderen zu unterscheiden und zudem ein hervorragendes Gehör. Long story short: Das ist heute nicht mehr der Fall. Hindert mich das daran Spaß am Spielen zu haben? Nein, denn es gibt barrierefreie Spiele, aufmerksame Verlage und spielend leichte Life-Hacks, die sogar relativ unkompliziert umzusetzen sind.

Ich bin nicht der Einzige, den ein gewöhnliches Spiel vor die ein oder andere Barriere stellt. Um ein großes Feld an Gleichgesinnten abzudecken, habe ich mich zunächst im Freundes- und Familienkreis umgehört und eine Umfrage erstellt. An dieser haben deutlich über einhundert Personen über X, Bsky, das Unknowns-Forum und Privat teilgenommen. Etwa 80% aller Teilnehmenden spielen mindestens einmal die Woche Brettspiele. Am beliebtesten sind dabei Kenner- und Expertenspiele vor Karten- und kooperativen Spielen. Interessant wird es bei den Fragen zur Barrierefreiheit. Etwa 2/3 der befragten Personen haben angegeben, schon einmal persönlich auf eine Barriere beim Spielen gestoßen zu sein. Barrieren gibt es in jeder Lebenssituation, die Treppe ins Obergeschoss, das Essen nach Rezept zu kochen oder zur Arbeitsstelle zu fahren. Wir behandeln aber die Barrieren beim Brettspielen, dort auch diese, die über die alltäglichen Barrieren des Spielens hinausgehen. Denn wenn über 1/3 der Befragten angibt, ein Treffen zum Spielen aufgrund einer Barriere abgesagt oder zumindest ein Spiel nicht mitgespielt zu haben, ist das ein Thema, welches wir uns näher ansehen sollten.

Eine Farbsehschwäche haben wir bereits angesprochen. Doch wo liegen die Barrieren konkret beim Spielen? Es ist zwischen Barrieren des Spiels an sich und denen der Spielsituation zu unterscheiden.

Klein, aber nicht fein

Kurzsichtigkeit (Myopie) und Weitsichtigkeit (Hyperopie) sind die häufigsten Sehfehler, oft sind diese mit Sehhilfen gut korrigierbar. Die Augen werden auch durch Arbeit und Freizeit am Bildschirm immer schwächer. Wie ‚sieht‘ es beim Spielen aus? Einige Spiele enthalten Karten, Plättchen und Spielregeln, die einen sehr kleingedruckten Text enthalten. Das hat unterschiedliche Gründe.

Spielregeln sollen das vollständige Spiel erklären und dürfen dabei keine Fragen offenlassen. Bei einem komplexen Spiel steigt die Seitenzahl; jede Seite ist zu finanzieren und lektorieren. Daher kann der Verlag durch Reduzierung der Schriftgröße Seiten einsparen. Meist passt eine mehrseitige Regel auch nicht in die Spielschachtel. Trotzdem sollten Regeln auch im lesbaren Bereich bleiben. Positiv ist dabei, dass immer mehr Verlage Regelvideos anbieten, die in das Spiel einführen. Die größere Barriere befindet sich allerdings auf Spielkarten, die unter anderem Text enthalten. Die Rede ist von so genannten Living- bzw. Trading Card Games (z.B. MAGIC – THE GATHERING) und vergleichbaren Spielen. Oftmals befindet sich neben einer großen Grafik ein Text im unteren Bereich der Karte. Da solche Karten in der Regel einzigartig sind, steht viel Text in einem sehr kleinem Feld, um die Funktion der Karte zu erläutern. Auch bei Brettspielen, die überwiegend kartengesteuert sind, (SEASONS, TERRAFORMING MARS) tritt diese Barriere auf. Gerade bei Spielen wie EVERDELL (oft 3/4 Bild, 1/4 Text in Minimal-Schriftgröße) entsteht der Eindruck, dass hier der Fokus auf ästhetischer Grafik und weniger auf Nutzbarkeit lag. Ein Gearloc Bogen (Boomer, TOO MANY BONES) enthält Textstellen, die an Unleserlichkeit grenzen. Aktuell bauen Verlage trotz der Individualität der Spielkarten auf Gruppierung der Kartenfunktionen und legen einen Referenzbogen bei, der die Karten erläutert (ARCHE NOVA). Neben diesem Lösungsansatz bleibt die Ikonografie. Das machen viele Verlage allerdings nicht einheitlich. Beispielsweise können zwei Pfeile die Weitergabe von Spielmaterial bedeuten, eine Spielerin oder ein Spieler ist erneut an der Reihe oder es wird die Spielrichtung geändert. Das führt teils zu Verwirrung.
Neben zu kleiner Schrift, kann auch das Spielmaterial an sich zu klein oder unpraktisch sein. Ein zu bunter Spielplan (PRAGA CAPUT REGNI), winziges oder für große Hände ungeeignetes Material (DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER, VITICULTURE), sorgen für kein barrierefreies Spielerlebnis.

Bunt, durchsichtig, grau, blind

Für Verwirrung sorgen teils auch die Spielfarben in Material und Regeln. Zunächst stellt sich die Frage, warum Spieledesigner Farben nutzen. Warum keine Formen, Symbole oder Ähnliches? Die Nutzung von Farben ist die einfachste Methode, um Spielmaterial zu unterscheiden. Das ist per se nichts Schlechtes. Aber: Farben sind nicht perfekt, gerade wenn diese nicht deutlich unterscheidbar sind. Kartenspiele wie TIPPI TOPPI (Grün, Lila, Pink, Orange) überzeugen mit kräftigen Farben, die Zahlen haben zudem einen weißen Hintergrund. SKYJO-Karten enthalten hingegen Farben, die allerdings für das Spiel unwichtig sind und nur einem frischen Design dienen. Für MARRAKESH sind Farben elementar. Die hexagonalen Prismen gibt es in mehreren verschiedenen Farbtönen. Viele Personen (Umfrage) stoßen gerade bei den Farben/Kontrasten Gelb, Beige und Weiß an ihre Grenzen. Das hat produktionstechnische Gründe, bei hellen Farben schimmert oft der Grundton des Holzes durch.
Ein großes Thema ist die Farbfehlsichtigkeit. Am bekanntesten dürfte die Rot/Grün-Schwäche sein, von der 10% europäischen Männer und 0,5% der europäischen Frauen betroffen sind. Diese können die Farben Rot und Grün nicht oder nur schwer voneinander unterscheiden.
Marcus Eibrink-Lunzenauer (mel) hat das Thema beim Spiel ERDE (Skellig) aufgegriffen und die „unüberlegte Farbwahl“ benannt (Fairplay Nr. 144, 2023, S. 33). Die Farben in diesem Spiel sind Grün, Rot, Gelb und Blau, teilweise zu hell, dunkel, in Pastellfarben und vor allem für Personen mit Farbseh­schwäche kaum zu unterscheiden. Dies sind oft die klassischen Farben eines Brettspiels. Erfreulich ist, dass immer mehr Verlage auf Alternativen setzen und beispielsweise auf Rot oder Grün verzichten.
Ein positives Beispiel ist ARCHE NOVA (Rot, Gelb, Blau, Schwarz in sehr guter Qualität, mit der WASSERWELTEN-Erweiterung sogar mit unterschiedlichen Figuren.
Spiele mit durchsichtigen Elementen (Würfel, Glassteine) stellen Menschen mit einer Farbfehlsichtigkeit vor echte Barrieren. Das ist unter anderem bei VITICULTURE, SAGRADA und RAJAS OF THE GANGES der Fall. In der Umfrage wurden diese Spiele in der Kategorie ‚nicht barrierefrei‘ mit Abstand am häufigsten genannt. Teilweise sind Würfelaugen nicht zu erkennen, aber auch die Farben der Würfel nicht immer unterscheidbar. Auch im Spiel ANNO 1800 von Martin Wallace sind fünf Farben auf Holzmarkern enthalten. Wer hat Violett, Rot, Grün, Blau und Hellblau (könnte auch Hellgrün sein) ausgewählt?
Es sitzen neben Spielerinnen und Spielern mit Farbfehlsichtigkeit auch solche am Spieltisch, die gar keine Farben sehen können oder sogar blind sind. Spiele mit Braille-Schrift sind leider extrem teuer oder schlicht nicht vorhanden.


Eine kleine Geschichte über Karten

Die Karten sind ausgeteilt, und meist haben wir anschließend deutlich mehr als zwei oder drei auf der Hand. Es gibt Karten für UNO und WIZARD, TICHU und THE GAME, SCOUT oder MISCHWALD. Alle diese Spiele, so unterschiedliche Regeln diese auch haben, haben gemein, dass wir teilweise 14 oder mehr Karten in einer Hand halten. Das geht durch Auffächern oft hervorragend – als Rechtshänderin. Linkshänderinnen stehen meist vor der Barriere, dass die Karten in der linken Hand anders aufgefächert sind als mit rechts. Etliche Verlage drucken Wichtiges aber nur so auf Karten, dass es nur für Rechtshänder praktisch ist. Bei SCOUT und vergleichbaren Spielen wurde bemängelt, dass durch Auffächern der Karten „auf links“, relevante Informationen verdeckt sind. Auch für Spielende, die die rechte Hand benutzen sind viele Karten mitunter nicht in einer Hand zu halten. UNO-Hausregeln lassen grüßen. Mittlerweile sind viele Spiele mit Symbolen auf Karten in allen vier Ecken ausgestattet. Teils sogar so, dass ausgespielte Karten auch von Mitspielenden lesbar sind (KRASS KARIERT).


Action Point Allowance System und andere Kuriositäten


Fachjargon in Spielen, Regeln und Rezensionen halte ich persönlich für extrem überflüssig. Dennoch tauchen Begriffe wie Worker Placement, also Spielfiguren auf Aktionsfelder setzen (z.B. AGRICOLA) oder eben Action Point Allowance System auf; mehrere Aktionen, die für Verschiedenes genutzt werden dürfen (PANDEMIC).
Geübte Spielerunden kennen die Begriffe oft in- und auswendig, aber auch Menschen, die diese Begriffe nicht kennen, spielen mit. Und das sind laut der Umfrage, die auch in einem Spieleforum veröffentlicht wurde, gar nicht mal so wenige. Der Fachjargon hat sich zunehmend auch in die ‚Marke‘ German Boardgames eingeschlichen. Wir bleiben beim Kartenweiterreichen, Würfelausdemsackziehen und der Gebietskontrolle. Ehem. Nein!

Wir haben hier eine Situation

Ein bisschen Quatschen gehört dazu oder etwa nicht? Das ist nicht einfach zu beantworten. Eine Gruppe aus Freunden, die nur Party- oder Kartenspiele auf den Tisch bringt, sagt etwas anderes als die Spielerinnen und Spieler, die ein Expertenspiel nach dem anderen spielen und sich über zwei oder drei Stunden konzentrieren müssen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Thema geht aber noch weiter: Wenn beim Spielen über die Oma, den Gartenzaun oder die neue Folge beim Bachelor gesprochen wird, fühlen sich Mitspielende gestört, sind nicht im Thema oder verstehen akustisch nur Bushaltestelle. Gut, wenn alle am Gespräch teilhaben.
Ähnlich ist es, wenn es spieltechnisch darauf ankommt, die Mitspielenden akustisch zu verstehen und wahrzunehmen. Das ist gerade bei ‚Partyspielen‘ wie JUST ONE oder auch WERWÖLFE IM DÜSTERWALD der Fall. Bei JUST ONE sollten die Spielerinnen und Spieler bei der kommunizierten Zahl schon hören, ob es sich beim ‚ei‘-Laut um eine Eins, Zwei oder Drei handelt – die Ergebnisse dessen: kichern, kurios, katastrophal.
Ein ebenerdiger Zugang zum Spieltisch ist nicht immer möglich. Das wissen vor allem Personen, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind. Aufzüge und flache Rampen, genügend Platz, ebenerdige Türen und Spieleeinrichtungen im Erdgeschoss bleiben häufig ein Wunschtraum. Auf Spielemessen und Conventions sind zu schmale Gänge, wenig Plätze für Rollstühle und Kinderwagen, lange Wege und fehlende Plätze zum Verweilen an der frischen Luft für lange Zeit an der Tagesordnung gewesen. Positivbeispiel für eine gute Entwicklung ist die Spiel in Essen. Vom Cajon-Taschen-Verbot und breiten Gassen profitieren alle Besucherinnen und Besucher der Messe. Auch das Greifen von Spielmaterial hat mit körperlichen Fähigkeiten zu tun, große und aufgrund von Krankheiten steife oder unruhige Hände stellen Betroffene vor Barrieren. Das Spielmaterial ist aus Kostengründen kleinteilig, aber nicht für alle einfach zu handhaben. Wenn alle mitspielen sollen, ist Spielmaterial wichtig, das sowohl von Kindern als auch von Senioren, Kranken und Menschen mit Beeinträchtigung oder Behinderung gegriffen und gehalten werden kann.
Lärm und Geräusche gehören dazu: Ein Spieleabend in einer Ludothek oder im Irish Pub, am ersten Tisch liegt ARCHE NOVA, auf dem Tisch nebenan geht es bei einer Partie HITSTER hoch her. Zootiere und Verbandsaktionen stören eher weniger Linkin Park als andersherum. Genervte Blicke wandern von „Tisch Sponsorenkarte“ zu „Tisch Spotify“. Sollen sich mal nicht so haben, die Schlagerversion liegt doch gar nicht auf dem Tisch. Ja, ja. Irgendwann sitzt du auch am ARCHE NOVA Tisch. Gibt es mehrere Räume mit Spieltischen ist die Lösung schnell gefunden. Andererseits ist die Atmosphäre für mindestens ein Spiel wohl eher nicht die richtige. Und im Irish Pub weiß ich, welches das ist.

Spieleverlage und andere Experten

Im Gespräch mit (Spiele-)Verlagen und Personen aus der Spielebranche aus dem In- und Ausland ist deutlich geworden: Grundsätzlich ist Barrierefreiheit ein Thema bei Autorinnen und Autoren, der Redaktion sowie bei Grafikerinnen und Grafikern. Verlage behandeln dies allerdings unterschiedlich intensiv. Dabei ist auffällig, dass Verlage Barrierefreiheit als besonders wichtig erachten, wenn in der Redaktion bereits persönliche Erfahrungen mit dem Thema gemacht wurden. Kann man ihnen das verdenken? Einige Spieleverlage haben sehr bereitwillig auf die Anfrage geantwortet, teils sogar sehr ausführlich.
An diese Stelle ein großes Dankeschön an Skellig Games, Days of Wonder, NSV, Czech Games, HeidelBÄR Games, Adlung, moses., Amigo, Abacusspiele, Lookout, Frosted Games, Fryxgames, Helvetiq und The Game Builders. Genannt wurde, inwiefern die eigenen Spiele möglichst barrierefrei gestaltet sind und welche Pläne es für die Zukunft gibt. Dabei wurden allerdings auch Einschränkungen erklärt, gerade wenn es Richtung Wirtschaftlichkeit geht. Sind Spiele wirklich teuer, wenn ein Augenmerk auf Barrierefreiheit liegt oder sucht der Verlag nach einer Ausrede? Ganz so einfach ist dies nämlich nicht zu beantworten.
Ein großes Thema ist bei nahezu allen Verlagen die Nutzbarkeit des Spielmaterials. So sollen Texte und andere Schrifterzeugnisse in Spielregeln und auf Karten groß genug sein. Größere Schriften sorgen aber gleichzeitig auch für umfangreichere Regelhefte, größere Token, Karten, Spielpläne und Ähnliches, Spiele sollen aber auch übersetzungsfreundlich sein. Gerade für Skellig Spiele und The Game Builders ist das ein großes Thema. Ein Nebeneffekt ist, dass durch möglichst wenig Text auf Spielmaterial auch Menschen, die (noch) nicht oder nicht mehr aufmerksam lesen können, mitspielen. Für Helvetiq ist besonders die Spielbarkeit mit beiden Händen wichtig, neben Symbolik und der Unterscheidbarkeit von Farben. Durch Verkürzung und Vereinheitlichung der Spielregeln ist das Leseniveau dem Wandel der Sprache angepasst worden.
Viele Verlage haben angegeben, dass sie auf größere Symbole achten, darauf, dass Farben sich unterscheiden lassen und testen viele weitere Verbesserungen, um Barrieren abzubauen. Konkret wird dies allerdings erst mit Beispielen. Czech Games hat das Spiel STARSHIP CAPTAINS ursprünglich mit kleineren Karten produzieren wollen, aus Gründen der Barrierefreiheit aber vergrößert. Kleinere Karten wäre dabei platz- und kostensparender gewesen. Der Verlag achtet zudem auf Ergonomie: Die Positionierung von Spielmaterial soll logisch und einfach sein. Häufig Benutztes liegt nah beieinander oder in logischer Reihenfolge auf dem Tisch oder Spielplan. Das ist besonders für Menschen mit kurzen Armen von Vorteil, aber auch für diejenigen, die ihre Arme nicht oder nicht mehr hinreichend benutzen können. HeidelBÄR Games berichtet, dass sich Spielende ohne Einschränkungen auch auf einen Kompromiss einlassen müssen. Deshalb ist wichtig, dass Maßnahmen zu Barrierefreiheit möglichst wirkungsvoll, aber auch gleichermaßen unsichtbar für Menschen ohne Einschränkungen sind.

Karsten Adlung schreibt, dass sie konkret auf folgende Punkte achten: Stabile Karten, Farbunterscheidung und Kontraste, Mehrfachcodierungen und Zahlen/Symbole in allen vier Ecken der Karte. Das sehen auch Amigo und der moses.-Verlag so. Neuheiten sind bei vielen Verlagen barrierefreier als Altauflagen, diese werden in ständigem Prozess überarbeitet, auch hinsichtlich der Inklusion und Gendergerechtigkeit. Die Verlage befinden sich in einem Entwicklungsprozess und lernen ständig dazu. Gerade klassische Kartenspielverlage (Amigo, NSV) setzen auf sprachneutrales und kompaktes Regelwerk und geringe Downtime. Letzteres hilft Menschen, die sich nicht lange konzentrieren können.

Unter anderem der Verlag Abacus-Spiele nutzt Tools, um die Farbfehlsichtigkeit zu simulieren. So fallen schon beim ersten Entwurf Farbschwächen auf. Abacusspiele achtet bei Auswahl der Produkte auf Spielbarkeit für jung, alt und Barrierefreiheit.

Zudem ist es wichtig, eine gute Balance zwischen Funktionalität, Optik und Spielgefühl zu finden.
Fryxgames arbeitet daran, Mehrdeutigkeiten in ihren Designs zu vermeiden, wenn Symbole und Icons in unterschiedlichen Spielen simultan die gleiche Bedeutung haben sollen. Der Korrekturprozess ist sehr sorgfältig, um Sprache, Lesbarkeit und Klarheit zu verbessern. Der Verlag nutzt, wie einige andere auch, Doppelcodierungen in Farbe und Form des Spielmaterials. Farben sind in unterschiedlicher Sättigung aufgetragen, sodass das Material auch für farbenblinde Spielerinnen und Spieler unterscheidbar ist. Wie so oft die ist die Erstellung von Grafiken immer mit Kompromissen verbunden. Kontraste und Sichtbarkeit wie Klarheit, Attraktivität und Zugänglichkeit müssen gegeneinander abgewogen werden. Eine Übersättigung von Barrierefreiheit strebt kein Verlag an. Einige Verlage bieten so genannte Senioreneditionen ihrer Spiele an. Das ist allerdings meist MENSCH ÄRGERE DICH NICHT, SKAT oder DAME. Welche Person, die gerne Brettspiele spielt, möchte nur Klassiker spielen? Selbsterklärend!
Dieter Niehoff hat im Jahr 2011 den Benediktushof besucht, eine Einrichtung in Maria Veen, in der Menschen mit Behinderung leben. Unter dem Titel „7 WONDERS ohne Hände? DIE VERBOTENE INSEL ohne Worte?“ fand der erste Spieleabend statt. In geselliger Runde wurde gespielt, ausprobiert und entschieden, welche Spiele wieder auf den Tisch kommen. Schnell ist klar, nicht jede oder jeder kann jedes Spiel mitspielen, allerdings geht vieles eben doch – mit gegenseitiger oder externer Hilfe. Das ist der große Vorteil einer solchen Einrichtung. Auch hier ist Geduld und Vertrauen gefragt, wenn immer wieder die Karten aus der Hand rutschen oder bei BINGOLINO wie Pippi Langstrumpf gerechnet wird. Der ganze Artikel steht in der Fairplay-Ausgabe Nr. 97/ 2011.

Was können Verlage und Mitspielende (noch)
besser machen?


Viele Verlage haben sehr gute eigene Ideen, wie Spiele deutlich barrierefreier zu gestalten sind. Doch der bisherige Text lässt vermuten, dass auch hier noch sehr viel Luft nach oben ist. Was ist zusätzlich und vor allem unkompliziert umzusetzen?
Das erste Stichwort ist hier Mehrfach-Codierung. Nehmen wir als Beispiel UNO. In diesem Kartenspiel sind Zahlen und Farben enthalten, zudem ist keine Farbe einer Zahl zugeordnet. Das heißt eine Unterscheidung der Farben ist für das Spiel äußerst relevant. Weil keine sonstige Hilfe auf den Karten angebracht ist, sind diese einfach codiert. Menschen mit einer Farbsehschwäche sehen mitunter bunte Karten in Graustufen und können das Spiel nicht hinreichend spielen. Die Lösung ist, dass eine Farbe zusätzlich mit einem Symbol codiert ist. Bei WIZARD sind unter den Zahlen kleine Symbole, ebenso bei DIE CREW. Das hilft Farbfehlsichtigen solche Spiele mitzuspielen. Ein kleines Symbol – große Wirkung. Besonders faszinierend ist, wenn die Symbolik bzw. Mehrfach-Codierung thematisch zum Spiel passt, so bei DIE INSEL DER KATZEN mit unterschiedlichen flauschigen Tieren. Nachteilig ist, dass die Codierung fast für jedes Spiel individuell ist. Steht bei Spiel A der Kreis noch für die Farbe Violett, kann der Kreis bei Spiel B Blau und bei Spiel C Grün bedeuten. Der Portugiese Miguel Neiva hat ein einheitliches System für Farb-Codierung einfacher Farben entwickelt: ColorADD. Einfache geometrische Formen sind einer festen Farbe zugeordnet. Mattel hat 2017 ein UNO mit genau diesem Zeichencode veröffentlicht. Allerdings kostet die Variante dreimal so viel wie das nicht barrierefreie UNO, die Braille-Ausgabe, liegt beim großen Versandhändler bei 35€.
Auch bei SEA, SALT & PAPER ist der ColorADD-Code zu finden – nie darauf geachtet? SEA, SALT & PAPER ist im Vergleich zu den Spezialeditionen von UNO bezahlbar.
Geometrische Formen sind bei Brettspielen sicher nicht das A und O, warum ist der Strich gelb und ein Dreieck blau? Dann ist die Nutzung von ColorADD nicht lizenzfrei, und das Wichtigste: Die verwendeten Formen haben den gleichen Nachteil wie die Zahlen 6 und 9. Aus verschiedenen Blickwinkeln haben diese eine unterschiedliche Bedeutung. Eine weitere Möglichkeit ist, die Anfangsbuchstaben der Farben statt eines Symbols zu nutzen. Funktioniert im englischsprachigen Raum, aber stößt im Deutschen spätestens bei Gelb, Grün und Grau an seine Grenzen. Besser wäre, wenn gleich das ganze Wort auf der Karte stünde. Hier ist klar, das kommt bei aller Liebe nur bei abstrakten Kartenspielen in Betracht. Kaum ein Verlag strebt an, seine schön gestalteten Karten mit Farbwörtern zu verunstalten.

ColorAdd_sign_code CC BY-SA 2.5 Maximilian Dörrbecker

Weiter geht der Blogger Peter Vel, der untersucht, welche Symbole zu welcher Farbe passen, um einen einheitlichen Code zu implementieren. Feuer, Sonne und Wasser stehen für Rot, Gelb und Blau, Mischfarben in Kombination der Symbole. Das System funktioniert auch ganz ohne Farben.
Feuer, Sonne und Wasser sind aber nicht für jedes Spiel geeignet. Die Symbole dürfen überdies von wichtigen und spielrelevanten Informationen nicht ablenken. Welche Symbole zu dem konkreten Spiel passen, ist ganz individuell – ob eine gelbe Banane, ein grünes Blatt oder ein weißes Schaf.
Es gibt eine Reihe von Spielen, bei denen die Farbunterscheidung zwar wichtig ist, aber nicht die Farbe an sich. Meist geht es nur um Unterschiede in den Farben des persönlichen Spielmaterials. Verlage, die hier auf kontrastreiche Farben und nicht auf Blau, Grün, Gelb und Rot setzen, haben das Prinzip Barrierefreiheit verstanden. Es spielen allerdings auch Menschen mit, die nicht nur keine Farben, sondern gar nicht sehen können. Hilfreich sind hier zur Orientierung doppellagige Spielpläne, unterschiedlich geformtes Material (z.B. Ressourcen aus Holz) und tiefe Würfelaugen, die gut zu ertasten sind. Solche Würfel findet ihr in eurer Würfelschatulle oder auf größeren Spielemessen. Besser sind Würfel mit Braille-Schriftzeichen, die es in eingeschränkter Form im Handel zu kaufen gibt. Gerade im Rollenspielbereich sind Würfel abseits des D6 in Brailleschrift Mangelware. Wer einen 3D-Drucker besitzt, druckt sich diese selbst. Auf entsprechenden Seiten sind gute Vorlagen zu finden (z.B. Thingiverse). Polyedrische Würfelseiten weisen oft Braille-Buchstaben statt Zahlen auf. Bei einem D20 sieht das so aus: 1, 2, 3 … 18, 19, 20 entsprechen A, B, C … R, S, T in Braille. Das Lesen/Erfühlen dieser Würfelseiten ist aufwendiger und nicht immer einfach. Da sind Ruhe, Zeit, Aufmerksamkeit und das Verständnis von Mitspielerinnen und Mitspielern angebracht. Der Rollenspieler, Blogger und Podcaster Würfelheld schreibt dazu, dass ihm persönlich die Braille-Würfel zu groß sind. Braille ist zudem erst zu lernen, damit solche Würfel zum Einsatz kommen. Ihm gefallen die Würfel aber und „wenn es nur darum ging, auf Messen und Conventions Aufmerksamkeit für das Thema [Barrierefreiheit beim Spielen] zu generieren.“


Wir haben festgestellt, dass nicht nur die Farbcodierung oder eine spezielle Schrift ein wichtiger Schritt zur Barrierefreiheit in Brettspielen ist. Viele Spiele enthalten zu viel Text auf Spielkarten. Wir haben schon herausgefunden, dass das Stichwort Ikonographie lautet. Diese soll einheitlich und gut verständlich, selbsterklärend und im Regelheft erläutert sein. Wo dies aufgrund der Individualität nicht möglich ist, sollen Texte leserlich und groß genug gedruckt werden. Wichtig ist dabei auch, dass eine Qualitätskontrolle nicht nur stark vergrößert am PC-Bildschirm eine normalsichtige Person vornimmt. Um Farbfehlsichtigkeiten zu simulieren, nutzen bereits erste Verlage entsprechende Apps und Software (z.B. das COBLIS-Tool oder Photoshop). So wird herausgefiltert, ob ein Spiel wirklich kontrastreich und mit unproblematischen Farbtönen gestaltet wurde. Hier hilft schon die Farbe Grün herauszulassen, um Verwechslungen mit Rot, Blau, oder Gelb zu vermeiden. Erfolgversprechend für Verlage ist es, wenn Spiele nicht nur in den üblichen Spielerunden getestet werden, sondern gleich von blinden Menschen oder solchen mit Farbfehlsichtigkeit.


Regelvideos haben wir bereits angesprochen. Von besonderem Vorteil ist, wenn diese leicht zugänglich sind. So finden sich teilweise QR-Codes mit Link zum Video in der Anleitung. Besonders für taube und schwerhörige Spielerinnen und Spieler aktivieren die Spieleverlage Untertitel. Doch wie erkläre ich ein Brettspiel Nichtspielerinnen, einer großen Gruppe oder einem gehörlosen Freund? Schon bei der Auswahl eines Spiels sollte ich mir die Frage stellen, ob das Spiel für meine Gruppe geeignet ist. Mit Neulingen GREAT WESTERN TRAIL oder ARCHE NOVA zu spielen, ist freundlich gesagt ungeschickt. Spielregeln zu erklären ist dabei gar nicht schwer. Denkste. Je komplexer das Spiel, desto länger dauert die Erklärung. Struktur, das Einbinden von Neulingen und eine gute Atmosphäre sind für eine vernünftige Erklärung ein nicht zu missachtender Faktor. Gleichzeitig sollten Mitspielende, die das Spiel schon kennen, nicht in die Erklärung reinqutaschen.
Zusätzliche Übersichten über den Spielablauf liegen immer mehr Spielen bei, oft erübrigt sich das Blättern im Regelwerk.

Aus der angesprochenen Umfrage sind jedoch auch negative Stimmen zu hören. So wird gewünscht, dass Spiele mit Barriere und barrierefreie koexistieren sollen, um gesunden Menschen den Spielspaß nicht zu verderben. Weitere Spielende wollen nichts ändern oder spielen nicht mit „solchen Menschen“. Wenn sie sich damit mal nicht vertun. Gut, dass die meisten Verlage, Spielerinnen und Spieler tolerant sind und ich von vielen Menschen umfangreiche Antworten in der Umfrage erhalten habe. Gerade die Brettspiel-Community ist hilfsbereit und verständnisvoll.
Dem Ideenreichtum von privaten Spielerunden ist kaum eine Grenze gesetzt. Neben der einfachen Vermeidung von Spielen, die nicht alle mitspielen können, haben mir viele Spielerinnen und Spieler erzählt, welche Life-Hacks und Verbesserungen in ihren Spielen Einzug gehalten haben. So haben Spielegruppen bei QWIRKLE auf den Steinen Codierungen in Form von eingängigen Symbolen mit einem Filzstift angebracht, um die Farben besser zu unterscheiden. Farbwürfel und anderes Spielmaterial wird ersetzt, eingescannt und vergrößert. Charmante Holzleisten helfen dabei Karten zu halten. Das geht natürlich auch individualisiert aus dem 3D-Drucker. Eine Gruppe hat Karten bei RAGE markiert, damit diese besser von anderen zu unterscheiden sind.
Hilfsbereite Mitspielende haben großen Einfluss auf den Spaß beim Spielen, reichen Spielmaterial an, lesen oder sortieren vor: Die blauen Würfel nach links, die grünen nach rechts – schon macht ANNO 1800 wieder Spaß. Das funktioniert besser bei Spielen, bei denen das Spielmaterial für alle blank liegt. Kooperative Spiele mit offenen Informationen sind hier natürlich einfacher zu handhaben als kompetitive. Wir wählen in unseren Spielerunden Spiele aus, die alle mitspielen. Mit Freundinnen und Freunden ist Rücksichtnahme Teil der Verabredung. Rücksichtsvoll sind Mitspielerinnen und Mitspieler, wenn diese laut und deutlich sprechen, gerade beim Erklären der Spielregeln. In der Umfrage wünschten sich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass eine ruhige Atmosphäre herrscht und wenig Lärm vom Nachbartisch herüber wandert. Mitspielende kommunizieren Farben, sind sensibel, geduldig und aufmerksam, sodass eine Atmosphäre entsteht, in der sich alle wohl fühlen. Bei dem zehnten Mal „ist das grün oder blau?“ einfach mal versuchen, nicht die Augen zu verdrehen.
Ein wichtiger Punkt ist auch, den Ort und den Tisch zu erreichen und dass für ausreichend Licht gesorgt ist. Funzelige Lampen sorgen zwar für Atmosphäre, manchmal ist es aber auch ganz sinnvoll, das Spielmaterial zu erkennen. Hängeleuchten mit Strahlern/LED/Glühbirnen und Bogenlampen, die von außen auf den Tisch ragen, haben sich als sinnvoll erwiesen. Viele Lampen sind sogar dimmbar, sodass sie für die Spielsituation anpassbar sind.

Ausblick und Fazit

Barrierefrei ist dieser Artikel wohl eher nicht, zu lang, zu viele Bilder von wenig bis gar nicht barrierefreien Spielen, und die Ikonografie fehlt ja mal komplett. Der Autor schreibt auch noch Zeilen über zu lange Spielregeln. Alles falsch gemacht? Nein, ich denke nicht. Der Text ist immerhin nicht kleingedruckt.
Anfangs haben wir festgestellt: Ja, Barrieren gibt es in jedem Spiel, in manchen mehr, in manchen weniger. Auch die Spielsituation trägt zu einem möglichst barrierefreien Spielerlebnis bei. Viele Verlage haben ausführlich auf die Anfrage geantwortet. Dabei ist im Vergleich zu den Wünschen von Spielerinnen und Spielern deutlich geworden, dass eine große Übereinstimmung zwischen dem Wollen der Spielegemeinde und der Ideenfindung der Verlage existiert. Viele Verlage arbeiten bereits seit Jahren mit Hilfestellungen für Spielende mit und ohne Beeinträchtigung. In der Zukunft beabsichtigen Spielehersteller häufiger mit Menschen zu testen, die eine Farbsehschwäche haben. Diese Ergebnisse sollen in den Fertigungsprozess mit einfließen. Was ich mir wünsche: Spieleabende mit Freunden, Familie, Fremden und alle spielen mit. Und wenn nur eine Spielegruppe oder ein Verlag sich diesen Text zu Herzen nimmt, dann hat er sich schon gelohnt.

Lasse Goldschmidt